Es ist ein beschauliches Bild. Friedlich. Joel Plüss sitzt neben dem Wollschwein am Boden und krault es. Das Tier döst selig weiter. «Hier bei den Wollschweinen ist mein Lieblingsort auf dem Hof», sagt der 18-Jährige. «Am liebsten habe ich die Ferkel, bei den Müttern muss man manchmal etwas aufpassen.»[IMG 1]
Sagt es und holt die Schubkarre, um die Ausläufe zu reinigen. Die Bewegungen sind routiniert und schnell. Füttern, Misten, Einstreuen – der Vormittag auf dem Dorfmatthof im aargauischen Dintikon gehört der Arbeit mit den Tieren. Neben Wollschweinen leben hier Galloway-Rinder, Skudden und Hasen. Das Fleisch vermarktet Chef Ueli Meyer direkt.
Ein Bäckersohn
Joel Plüss stammt nicht aus der Landwirtschaft. Sein Vater hat eine eigene Bäckerei, die Mutter arbeitet beim Logistikunternehmen Pflanzer AG. «In der Schule hatte ich einen Freund mit einem Bauernhof daheim», erzählt Joel Plüss. Das hat ihm den Ärmel reingenommen und nach einem Ausflug in den Gartenbau war klar, eine landwirtschaftliche Ausbildung soll es sein. «Ich habe die Tiere zu sehr vermisst», sagt Plüss.
[IMG 3]
«Ich muss oft bei Null anfangen»
Zur Schule ging er am Heilpädagogischen Zentrum für Werkstufe und Berufsvorbereitung (HZBW). Nun macht er hier in Dintikon eine PrA-Ausbildung. PrA steht für Praktische Ausbildung. Sie ist ein niederschwelliges Berufsbildungsangebot für Menschen mit Lernschwierigkeiten, die keinen Zugang zu einem EBA- oder EFZ-Abschluss haben. «Ich muss oft bei Null anfangen», sagt der Boniswiler. «Für mich hat es Mut gebraucht, bei ‹Lehrling des Jahres› mitzumachen.»
Sein Chef und die zweite Chefin Stefanie Hädener haben ihren Lernenden bei der Bewerbung tatkräftig unterstützt. Drei Tage lange filmten sie ihn bei allen Arbeiten immer wieder für sein Bewerbungsvideo.
Steckbrief
Name: Joel Plüss
Alter: 18 Jahre
Wohnort: Boniswil AG
Lehrjahr: Im 1. Lehrjahr PrA-Ausbildung
Ausbildungsbetrieb: Familie Meyer-Jeanbourquin in Dintikon AG
Technik bedienen lernen
«Ich will zeigen, dass ich es in der Landwirtschaft auch schaffen kann, auch ohne hohe Ausbildung, und würde mich freuen, wenn die Leute für mich abstimmen!», sagt Joel Plüss selbstbewusst. Traktor fahren oder den Heukran bedienen ist für ihn keine Selbstverständlichkeit. Er braucht viel genaue Anweisungen seines Chefs und genügend Zeit, um zu lernen. Derzeit büffelt er für die Traktor-Theorieprüfung.
«Bis am Ende der Ausbildung will ich Traktor fahren können», sagt er und steigt die Treppe zum Heukran hoch. Er setzt sich in das blaue Gefährt hoch über dem Heustock. Staubkörner wirbeln durch das Zwielicht. Man könnte hier Höhenangst bekommen, aber Joel Plüss macht es nichts aus. «Jetzt drücken Sie vorsichtig dieses Pedal mit dem Fuss», erklärt Ueli Meyer. Der Lernende folgt den Anweisungen konzentriert.
[IMG 4]
«Das haben Sie gut gemacht, Joel», lobt sein Chef nach einer ausgiebigen Übungssession mit dem Heukran. Für den Landwirt und Fachmann Behindertenbetreuung gehört der respektvolle Umgang mit Menschen, Tieren und der Natur zu den wichtigsten Lebensprinzipien. Als er vor elf Jahren den elterlichen 15-ha-Hof übernahm, war ihm klar, dass er Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen schaffen will, die im primären Arbeitsmarkt benachteiligt sind.
Viel Handarbeit
Auf dem Dorfmatthof wird fast alles von Hand erledigt. Am Nachmittag gehts mit dem blauen Traktor und Anhänger auf das Feld. «New Holland ist meine Lieblingsmarke», verrät Joel Plüss, dessen Lieblingsessen Spaghetti, Reis und Gemüse sind. Um Gemüse gehts nun auch. Chef und Lehrling pflanzen Zwiebeln. Sorgsam steckt Plüss eine braune Knolle nach der anderen in die Erde in eine exakte Reihe. Es ist ein milder Frühlingstag, T-Shirt-Wetter. So macht die Feldarbeit Spass.
[IMG 5]
Wenn die Zwiebeln geerntet sind, wird sie der junge Aargauer auf Bestellung in die Gemüsekisten packen. Rund 20 Kunden werden pro Woche damit beliefert, sie können auch Fleisch, Brot oder Eingemachtes bestellen. «Die Gemüsekisten füllen ist meine Lieblingsarbeit.»
In die freie Wirtschaft
Als nächstes zeigt ihm Ueli Meyer, wie man Trauben zurückschneidet. Joel Plüss legt die Stirn in konzentrierte Falten, wie ging das schon wieder, ein bis zwei Augen soll man übriglassen …
Der 18-Jährige ist zielstrebig und hat ein erklärtes Ziel: «Ich will später noch eine EBA-Ausbildung anhängen. Und mein Traum ist es, später in der freien Wirtschaft arbeiten zu können.»
5 Fragen an Joel
Welche Superkraft hättest du gerne?Fliegen, wie ein Vogel von oben alles beobachten.
Welches sind deine Lieblingstiere?Kühe, Geissen, Schweine, Hasen
Dein Lieblingsessen?Gemüse, Reis, Spaghetti
Deine liebste Arbeit? Gemüsekisten packen
Was machst du weniger gern? Ich mache alles gerne
[IMG 6]
[IMG 7]«Lehrling des Jahres 2022»
2021 hat die BauernZeitung erstmals einen Lehrling des Jahres gekürt. Die Auszeichnung stellt motivierten Berufsnachwuchs ins Zentrum. Zehn von Ihnen stellen wir Ihnen im Rahmen der Suche nach dem «Lehrling des Jahres 2022» vor. Wer den Titel schlussendlich tragen wird, bestimmen Sie in einer Online-Abstimmung ab dem 13. Mai.
Weitere Informationen und alle Porträts finden Sie im Dossier.