Adrian Manser steht im Schlechtwetter-Auslauf seines Hühnerstalls und klatscht mehrmals in die Hände. Das laute Geräusch tut dem unaufgeregten Gackern um ihn herum keinen Abbruch. Keine einzige der gut gebauten weissen Hennen ergreift die Flucht, stattdessen kommen sie auf kurzen Beinen näher und scharen sich um ihren Besitzer. «Lohmann Dual sind sehr ruhige und neugierige Tiere», kommentiert Manser. Die Legehennen sind nicht nur des Schicksals ihrer männlichen Artgenossen gleicher Rasse wegen etwas Besonderes.
Ein Sprung ins kalte Wasser
Laien sehen kaum einen Unterschied zwischen den Hennen, die Familie Manser auf ihrem Hof in Gossau SG hält und den üblichen Legehybriden. Auf den zweiten Blick fällt aber auf, dass diese Zweinutzungshühner deutlich kräftiger sind als beispielsweise die Rasse Lohmann weiss. «Für uns war es ein Sprung ins kalte Wasser, als wir 2015 die erste Herde Lohmann Dual eingestallt haben», erinnert sich Adrian Manser. Auslöser für den Rassenwechsel war eine Anfrage von Mansers Abnehmer, der Ei AG, die in Zusammenarbeit mit Coop für das Projekt «Zweinutzungshuhn» einen Betrieb suchte. «Wir sahen es als Chance, in eine Nische einzusteigen. Ausserdem hat uns der ethische Gedanke zugesagt.» Seither ersetzen bei ihm Lohmann Dual die braunen Bio-Legehybriden.
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Abnehmer gab finanzielle Sicherheit
Vorwissen gab es vor sieben Jahren noch kaum, Mansers waren erst der zweite Betrieb mit Lohmann Dual in der Schweiz. «Wir haben uns schon grundsätzliche Gedanken gemacht, ob die Hennen überhaupt mit unserem Aufstallungssystem zurechtkommen, in die Legenester oder zum Futter finden», meint der Bio-Landwirt. Sie seien aber auch neugierig gewesen, ergänzt seine Frau Nicole. Hinzukommt, dass die Ei AG den Produzenten mit Zweinutzungshühnern finanzielle Sicherheit gab, indem ihnen ein ebenbürtiges Einkommen zugesichert wurde. Über die Jahre sei es ein Herantasten an einen kostendeckenden Eierpreis gewesen.
Betriebsspiegel
LN: 29 ha Grünland in der Hügelzone, davon 3,5 ha BFF, 1 ha Silomais für die Kühe
Tierbestand: 2'000 Legehennen der Rasse Lohmann Dual, 36 Milchkühe (Braunvieh, Fleckvieh, Holstein), 15 Mutterschafe mit Lämmern und zwei Freiberger Pferde
Arbeitskräfte: Betriebsleiterfamilie, 1 Lernender, 1 Angestellter, bei Arbeitsspitzen Unterstützung aus der Verwandtschaft
Label: Bio Knospe
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Eine Lösung für kleinere und weniger Eier
Die Kosten pro Ei sind bei Lohmann Dual höher, da diese Hennen weniger Eier legen als Hybriden. «Sie kommen später in die Legephase, die Legekurve steigt langsamer an und die Eier fallen kleiner aus», schildert Adrian Manser. Zudem zeigen sie verschiedene Braunschattierungen statt einer einheitlichen Farbe. Die Ei AG löst das Problem, indem bei der Sortierung schon Eier ab 45 Gramm zum regulären Preis vermarktet werden, während die übliche Normalgrösse bei 53 Gramm liegt. Die Kundschaft im Laden zahlt somit mehr für kleinere Eier. Die Kommunikation zur Idee des Zweinutzungshuhns als Alternative zum Kükentöten funktioniert offenbar, denn mittlerweile liefern sechs Produzenten Lohmann-Dual-Eier an die Ei AG.
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Weniger gefragt im Direktverkauf
Die Eier der Familie Manser gehen zum grössten Teil in den Grosshandel. Zwar wäre der Betrieb in unmittelbarer Nähe eines Zoos und der Städte Gossau und St. Gallen gut gelegen für die Direktvermarktung, «wir haben aber nicht darauf gesetzt, weil wir mit dem Grosshandel zufrieden sind», erklärt der Bio-Landwirt. Ausserdem habe er die Erfahrung gemacht, dass im Direktverkauf eher grosse Eier gefragt sind. «Da spielt die Nähe zur Bauernfamilie eine grössere Rolle, die Rasse ist weniger wichtig», so seine Schlussfolgerung. Im Detailhandel sieht es anders aus, wo die entsprechend ausgelobten Eierschachteln im anonymen Regal eine zahlungsbereite Kundschaft finden.
Andere Legezeiten machten Anpassungen nötig
Nicht nur die Eier der Zweinutzungshennen und ihr Charakter unterscheiden sie von Legehybriden. Wie sich herausstellte, halten sich die Hühner nicht an die gewohnten Legezeiten. «Früher konnten wir um 6.30 Uhr etwa 95 Prozent der Eier holen. Das hat sich mit den Dual-Hennen stark Richtung Mittag verschoben», schildert Adrian Manser, «wir starten jetzt erst gegen 10 Uhr, um möglichst alle Eier zu erwischen». In der Folge musste die Familie den ganzen Betriebsablauf an die neue Rasse anpassen. Das stimme aber für sie, versichert Nicole Manser: «Wir wenden viel und gerne Zeit für die Hennen auf, auch zum Beobachten und mit den Kindern. Das Dual-Huhn passt mit seiner ruhigen und familienfreundlichen Art zu uns.» Die Gelassenheit grenzt allerdings bisweilen an Trägheit und kann z. B. den Weideeintrieb erschweren.
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Lohmann-Dual-Hennen brauchen weniger Futter
Neben vielen Unterschieden gibt es auch viele Punkte, in denen Hybriden und Zweinutzungshühner gleich sind. So seien Letztere nach Mansers Erfahrung weder anfälliger noch robuster in Bezug auf Krankheiten und Parasiten – anders als man angesichts ihrer Statur erwarten könnte. Aufgrund ihrer tieferen Legeleistung nimmt man aber an, dass Brustbeinfrakturen bei Zweinutzungsrassen seltener vorkommen. Probleme mit Verhaltensstörungen hatten die Gossauer nie, weder mit Lohmann Dual noch vor dem Rassenwechsel. «Unsere Hennen sind mit Stroh, Körnern, Sitzstangen, Sandbädern und den verschiedenen Stallbereichen gut beschäftigt», gibt Adrian Manser zu bedenken. Er sieht das aber auch als glücklichen Umstand, denn jede Herde sei anders.
Die Fütterung ist ebenfalls dieselbe, die Dual-Hühner haben aber einen kleineren Bedarf. Das ist für die Wirtschaftlichkeit ein wichtiger Punkt und relativiert die kleinere Legeleistung bis zu einem gewissen Grad. Wie viel weniger Futter genau benötigt wird, variiert laut Adrian Manser je nach Herde.
Zudem bleibt die Zucht nicht stehen: Die Ei AG und der Junghennenlieferant bzw. die Firma Lohmann selbst steht in regelmässigem Kontakt mit den Eierproduzenten. «Über die acht Herden, die wir bisher eingestallt haben, war der Zuchtfortschritt bei der Legeleistung offensichtlich», freut sich der Bio-Landwirt.
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Das Zweinutzungs-Huhn auf einen Blick
Die Hähne der Rasse Lohmann Dual werden auf Mastbetrieben für die Fleischproduktion grossgezogen, die Hennen liefern Eier und werden am Ende der Legephase zu Charcuterie-Produkten verarbeitet. Folgendes zeichnet die Rasse aus:
Aussehen: Stämmiger als Hybriden, kürzere Beine
Charakter: Ruhig, zahm und neugierig, nicht schreckhaft
Verhalten: Bisweilen etwas träge, tiefer Geräuschpegel im Stall
Gesundheit: Vergleichbar mit Legehybriden bei Krankheiten und Parasiten, vermutlich weniger anfällig für Brustbeinfrakturen
Futter: Gleiches Futtermittel, aber geringerer Mengenbedarf
Leistung: Tiefere Legeleistung, späterer Beginn der Legephase, Eier werden später am Tag gelegt, keine Masttiere
Eier: Kleiner, unregelmässige Grösse und verschiedene Braunschattierungen
Keine Nachteile durch die Zweinutzungsrasse
Am Ende der Legephase werden die Hennen zu Charcuterie-Produkten verarbeitet. Das ist nicht anders als bei Legehybriden. Im Gegensatz zu einer Zweinutzungsrasse bei Rindern ist die doppelte Nutzung quasi auf die beiden Geschlechter aufgeteilt: Die Hähne gehen auf Mastbetriebe, Hennen liefern Eier. «Schlussendlich hat man vielleicht etwas mehr Arbeit und ›nur‹ ein Ei – erst noch ein kleineres», fasst Adrian Manser zusammen. Dank dem Coop-Projekt stimmt aber die Wirtschaftlichkeit und für Familie Manser ist das Dual-Huhn vor allem auch ein ethisch-moralischer Gewinn. «Wir haben keinen Nachteil daraus und sind dankbar, dass es Kunden gibt, die für dieses Produkt bezahlen», betont er. Die weissen Hennen gackern gedämpft im Hintergrund und schauen zu dem Landwirt auf, als wollten sie ihm beipflichten.
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