Bis in die 1950er-Jahre wurde in der Schweiz nur wenig Geflügelfleisch gegessen – 1955 waren es 1,7 Kilogramm pro Kopf, 1973 7,5 und heute sind es rund 15. Die von den Bäuerinnen betriebene Geflügelhaltung diente primär der Selbstversorgung. Und die meisten Eier importierte man.

Statistik erstmals 1918

Den Stellenwert, den die Geflügelhaltung bei Behörden, in der Wissenschaft und bei den Bauern genoss, zeigt sich auch daran, dass die Zahl der Hühner erstmals 1918 statistisch erhoben wurde. Die Geringschätzung für das Federvieh wurde in der Zwischenkriegszeit überwunden, als Bäuerinnen mit Erfolg begannen, die Hühnerhaltung auszubauen. Schon bald zeigten Buchhaltungsergebnisse, dass die von den Bäuerinnen betriebene Hühnerhaltung auf Betrieben zuweilen besser rentierte als die Milchproduktion.

Ihre Kenntnisse in Sachen Hühnerhaltung erwarben die Bäuerinnen oft an den bäuerlichen Hauswirtschaftsschulen. Hier nahm das Fach seit dem Ersten Weltkrieg einen wichtigen Platz ein und wurde von anerkannten Expertinnen wie Margrit Häberli (s. Kasten) unterrichtet. Vermarket haben die Bäuerinnen die Eier ab den 1920er-Jahren vor allem via die Schweizerische Eierverwertungsgenossenschaft (SEG).

80 Prozent Importpoulets

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Nachfrage nach Geflügelfleisch auch in der Schweiz. Allerdings wurden rund 80 Prozent der Poulets importiert. Das aus grossen Mastbetrieben im Ausland stammende, standardisierte Geflügelfleisch erfüllte die Anforderungen der aufkommenden Grossverteiler besser als das von Bäuerinnen produzierte, auf den Höfen oder in lokalen Schlachtstellen der SEG verarbeitete Geflügelfleisch.

Über die steigende Nachfrage und die neuen Qualitätsvorstellungen am besten orientiert waren diejenigen, die, wie die Migros, Geflügelfleisch verkauften. Eine Pionierrolle spielte der Agronom Pierre Arnold, der 1958 vom Waadtländer Genossenschaftsverband USAR in die Migros-Direktion wechselte, nachdem er sich erfolglos um die Stelle des Direktors des BLW beworben hatte. Arnold entwickelte einen Produktionsplan, den er ab 1961 zusammen mit dem Futtermittelhersteller Provimi unter dem Namen Optigal zu realisieren begann.

Rigorose Gliederung

Charakteristisch für die neue Form der Produktion war die rigorose räumliche und soziale Zergliederung der Züchtung, Haltung, Fütterung und Schlachtung der Tiere sowie der Verarbeitung und des Verkaufs des Fleisches.

Die Elterntiere bezog die Migros aus dem europäischen Zuchtzentrum in Cuxhaven. Die Doppelhybriden dienten ihr als Ausgangsmaterial für die Zucht der Optigal-Küken. In drei Vermehrungsbetrieben im Wallis wurden die Bruteier produziert.

Ausgebrütet wurden die Eier dann auf einem Betrieb im Westschweizer Broyetal, der die Eintagsküken an rund 200 landwirtschaftliche Vertragsproduzenten abgab. Diese mästeten die Küken mit dem von der Firma Provimi gelieferten Mischfutter nach den Richtlinien der Optigal SA. Die nach 54 Tagen schlachtreifen Tiere lieferten die Produzenten an den von der Migros 1960 errichteten Schlachthof im freiburgischen Courtepin, der pro Stunde annähernd 6000 Tiere schlachten konnte.

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Konsum bestimmt Produktion

Von Courtepin aus gelangte das verarbeitete Pouletfleisch dann via die elf regionalen Migros-Betriebszentralen in die rund 700 Verkaufsläden, Verkaufswagen und Imbissecken, die von der Migros in den 1960er-Jahre in der ganzen Schweiz betrieben wurden. Diese Entwicklung wurde Mitte der 1960er-Jahre noch verstärkt, als die landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände zusammen mit der SEG und der Coop-Tochter Bell eine ähnliche vertikale Vertragsproduktion aufzogen.

Auch hier zeigt sich exemplarisch, dass in Konsumgesellschaften der Konsum die Formen der Produktion bestimmt. So verdrängte die steigende Nachfrage nach Pouletfleisch die Geflügelhaltung durch die Bäuerinnen – und führte gleichzeitig dazu, dass sie zu einem Erwerbszweig ihrer Männer wurde.

Die Hühner-Expertin Margrit Häberli

Die 1897 geborene Margrit Häberli unterrichtete von 1927 bis 1939 als Fachlehrerin für Geflügelzucht und Milchverarbeitung an der Land- und hauswirtschaftlichen Schule Schwand, wo sie die Geflügelhaltung auf dem Gutsbetrieb der Schule zielstrebig ausbaute. Häberli machte Zuchtversuche, führte Buch über die Legeleistungen sowie die Fütterung der Hühner und publizierte die Ergebnisse. Mit Brutapparaten produzierte sie nachzuchtgeprüfte Qualitätsküken, die an Bäuerinnen verkauft wurden. Gleichzeitig arbeitete Margrit Häberli eng mit anderen Geflügel-Spezialisten wie Hans Engler und Eugen Lenggenhager zusammen. Die drei verfassten den Leitfaden «Zucht und Haltung von Nutzgeflügel als Nebenerwerb», der als Unterrichtsmaterial an land- und hauswirtschaftlichen Schulen sowie als Lehrbuch für Geflügelhalter diente.

Wie Margrit Häberli nach ihrer Heirat 1939 hiess und wo sie danach tätig war, ist bislang unbekannt. Für Hinweise ist das Archiv für Agrargeschichte dankbar. Bitte senden Sie allfällige Informationen an info@agrararchiv.ch