Gut drei Wochen vor der Abstimmung haben wir uns mit einem Befürworter und einer Gegnerin über die Massentierhaltungs-Initiative (MTI) unterhalten.
Frau Schnider, die MTI würde Ihren Betrieb in der Bergzone wohl kaum gross beeinflussen?
Hella Schnider: Das würde ich so nicht sagen. Unser Sohn hat soeben investiert in einen konventionellen Stall nach neusten Standards; wenn die MTI angenommen wird, kann er am nächsten Tag wieder neu anfangen. Unklar ist für mich auch, was die Auswirkungen auf den Alpen und die dortigen Ställe wären.
Herr Schneider, die Auswirkungen der MTI sind also doch noch recht krass, oder?
Andreas Schneider: Es gibt eine 25-jährige Übergangsfrist. Wir haben in den letzten 25 Jahren zweimal umgebaut im Stall.
Schnider: Die 25 Jahre sind das Maximum, theoretisch kann das Parlament eine andere Frist setzen. Die Investition unseres Sohnes ist auch längerfristig geplant. Wenn es geht, sollte man rasche erneute Bauarbeiten vermeiden, auch aufgrund der hohen Kosten.
Schneider: Diejenigen, die in unserer Region investiert haben, hatten Bio im Kopf und so umgebaut, dass man umstellen kann. Bei der Rindviehhaltung ist es vielleicht noch etwas anderes, aber Entschuldigung, eine Sau mit einer Minimalfläche von 0,9 m2, das ist nichts, und auch die 1,65 m2 pro Sau im Bio sind sehr wenig.
Schnider: Die ganzen Tierschutz-Vorschriften sind fundiert. Aber wenn man mehr machen kann und will, ist das absolut in Ordnung. Und es findet ja auch auf den konventionellen Betrieben eine stetige Veränderung statt. Was mich vor allem stört, ist, dass die Bio-Richtlinien von 2018 in der Verfassung stehen sollen. Damit sind wir in 30 Jahren komplett veraltet, und das würde auch die Innovation bremsen. Ich kann das nicht nachvollziehen.
«Wenn ein Huhn auf einem A4-Blatt Platz haben muss, ist das ganz klar zu wenig.»
Andreas Schneider
Finden Sie das gut, wenn wir Bio-Richtlinien in der Verfassung verankern?
Schneider: Wenn man jetzt nichts macht, dann ändert sich nie etwas. Und das kritisiere ich auch am Verhalten des Bauernverbands. Der bewegt sich nie einen Millimeter. Das haben wir schon bei den letzten Initiativen gesehen. Der Berner Bauernverband ist wirklich sehr stur und strikt. Wenn ich ein Mail von ihm erhalte, steht darunter immer gross Nein. Für mich ist das auch ein Stück Bevormundung, es gibt ja auch noch andere Bauern.
Schnider: Ich sehe das nicht unbedingt als Bevormundung. Der SBV und der LBV stehen stellvertretend für den Grossteil der Bauern, und die sind konventionell. Was das kategorische Nein angeht, gebe ich dir ein Stück weit recht, im Kanton Luzern versuchen wir aber noch etwas mehr auf Information und Aufklärung zu setzen. Das müssen wir künftig in den Vordergrund stellen.
Klären Sie doch Ihr Gegenüber gleich über die drei wichtigsten Gründe für ein Nein auf.
Schnider: Sehr gerne, für mich ganz wichtig ist das Raumplanerische. Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes soll die Zahl der Gebäude plafoniert werden, und wir kommen jetzt mit einer MTI, die unter Umständen Tausende von neuen Gebäuden zur Folge haben wird.
[IMG 2]Schneider: Das glaube ich eben nicht, man kann auch das Bestehende noch nutzen und etwas ergänzen, dafür kenne ich sehr viele Beispiele. Mich reut als Bauer auch jeder Quadratmeter, der neu überbaut wird.
Schnider: Punkt 2. Wir haben bereits einen sehr hohen Standard, deshalb ist die MTI unnötig.
Schneider: Wir haben das strengste Tierschutzgesetz der Welt, das mag stimmen, aber das ist für mich ein billiges Argument. Für mich steht das hiesige Tierwohl im Vordergrund, und wenn man sieht, dass ein Huhn auf einem A4-Blatt Platz haben muss, ist das ganz klar zu wenig. Wir müssten noch mehr machen, um unsere Pionierrolle zu halten.
Schnider: Besser werden kann man immer, und wir sind auf diesem Weg. Ich sehe aber keinen Zugzwang, das einseitig zu oktroyieren. Zudem haben wir bereits heute hohe Labelüberhänge, das erleben wir bei uns mit den Kälbern.
Schneider: Das ist sicher ein Problem, aber es ist ein gesellschaftliches Problem, wir müssen weniger Fleisch essen. Ich bin weder Vegetarier noch Veganer und esse gerne ein gutes Stück Fleisch, aber wir importieren zu viel Futter für unsere Produktion. Dadurch haben wir auch eine hohe Nährstoffbelastung, gerade im Kanton Luzern kennt man das.
Schnider: Hier muss man immer etwas aufpassen, dass man nicht die ganze Schuld den Bauern zuschiebt. Sie sind sicher nicht unschuldig, aber vieles ist auch gesamtgesellschaftlich verursacht, z. B. die Ablagerungen von Abfall aus Kläranlagen in unseren Seen.
Hella Schnider, welches ist der dritte Punkt, mit dem Sie Befürworter überzeugen möchten?
Schnider: Gemäss den Initianten sollen die neuen Anforderungen auch für die Importe gelten, aber das ist einfach nicht konform zu unseren Handelsverträgen. Wir können den Exportländern nicht vorschreiben, was sie bringen. Entweder muss die Schweiz aus diesen Verträgen aussteigen, das wäre für die Schweiz als Exportnation höchst unglücklich, oder wir drücken beide Augen zu und lassen herein, was kommt; ich denke, das wäre das Todesurteil für die Schweizer Landwirtschaft.
Schneider:Wir haben ja 25 Jahre, und ich traue es Politikern und Unterhändlern zu, dass sie Lösungen finden, um die Verträge mit dem Ausland einhalten zu können.
Das ist Prinzip Hoffnung, wir schreiben mal was in die Verfassung und hoffen, dass es irgendwann gut kommt.
Schneider: Es ist mir bewusst, dass es nicht einfach sein wird, die Ziele der Initiative umzusetzen.[IMG 3]
Schnider: Ich gehe noch ein bisschen weiter. Wir haben ja auch einkommensschwächere Familien, die sich die Schweizer Produkte kaum mehr werden leisten können. Wir haben vier Kinder und hatten auch Zeiten, wo wir ein bisschen schauen mussten. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, Bioprodukte zu kaufen, auch weil ich um die Qualität der konventionellen Produkte weiss.
Schneider: Wir geben ja vom Einkommen nur noch gut 6 Prozent fürs Essen aus. Noch vor 20, 30 Jahren war der Anteil an den Haushaltsbudgets weit über 10 Prozent. Alles andere ist wichtiger geworden, sei es Freizeit oder seien es Ferien. Verheerend ist auch, was weggeworfen wird. Das ist das grössere Problem als die Biodiversitätsförderflächen, die einige nun wieder umpflügen wollen.
Schnider:Da gebe ich dir recht. Wenn wir weniger wegwerfen, müssen wir weniger importieren. Aber auch hier können wir keinen Zwang draus machen. Mit der Initiative dürfte sich aber am Problem wenig ändern, hier geht es eher um einen versteckten Tierabbau.
Schneider: Ich bin sicher nicht für Tierabbau, aber ich bin dagegen, dass man den Kühen Soja füttert. Direkt kann man viel mehr Menschen ernähren, statt dieses noch durch Tiere durchzuschleusen. Das war auch ein Grund, wieso wir unsere Rasse gewechselt haben. Die erhalten Gras und Heu und sonst nichts. Wenn die Qualität des Futters weniger gut ist, geben sie einfach etwas weniger Milch.
Sie fordern also eine standortangepasste Tierhaltung, sind aber jetzt Teil einer Gruppierung, die viel mehr möchte. Ist das aus der Not geboren, oder warum machen Sie da mit?
Schneider: Damit sich wenigstens etwas ändert und passiert. Es ist schon einiges gegangen, aber mir geht es einfach ein bisschen zu wenig schnell.
Schnider: Ich habe das Gefühl, das Tempo ist nicht schlecht. Es braucht ja Anpassungen auf allen Ebenen, auch bei der Verarbeitung und beim Detailhandel, die bremsen uns teilweise auch recht stark aus. Wenn das Tempo so weitergeht, ist das für mich absolut in der Ordnung. Ich glaube, wenn das von oben verordnet wird, muss man sehr aufpassen, dass man die Leute nicht überfordert.
Schneider: Man müsste den Detailhandel in die Pflicht nehmen, dass sie noch mehr Schweizer Produkte auch in Aktion bringen, da kommt das Fleisch meistens aus dem Ausland. Insgesamt ist mein Eindruck, dass die Bauern immer die letzten sind im Umzug, die nehmen müssen, was noch für sie übrigbleibt.
Schnider: Das sehe ich auch so. Es gibt auch viele Schweizer Produkte, die sehr sehr günstig verkauft werden, da sieht man gerade, dass für die Produzenten nicht mehr viel bleibt. Ich würde mir wünschen, dass die Händler bei den Margen über die Bücher gehen.
«Besser werden kann man immer, und wir sind schon auf diesem Weg.»
Hella Schnider
Andreas Schneider produziert weniger Milch für einen besseren Preis, andere fokussieren auf intensive Pouletmast, welches ist der richtige Weg in die Zukunft?
Schnider: Es ist sicher richtig, das zu tun, was einem mehr entspricht. Aber was du machst, könnten natürlich auch nicht alle 50 000 Betriebe machen, sonst hätten wir schon wieder ein ganz anderes Preis-Mengen-Verhältnis. Es ist eher ein Nischenprodukt.
Schneider: Ja, das ist sicher so.
Schnider: Bei den Poulets hat man sehr stark auf Intensität und Effizienz fokussiert, das ist wichtig im Hinblick auf den sparsamen Umgang mit Ressourcen, hier müssen wir einfach entscheiden, ob wir mehr Futter oder Fleisch importieren. Die Bauern produzieren letztlich immer das, was nachgefragt wird.
Schneider:Das muss man schon etwas steuern und nicht einfach dem freien Markt überlassen. Dafür gab es ja schon viele politische Vorstösse, unter anderem mehrere Initiativen, aber bisher kam leider praktisch nie eine durch. Für mich ist das zentrale Thema das Tierwohl, und da haben wir noch Nachholbedarf beim Platz, vor allem bei Schweinen und Hühnern. Ich befürchte, dass auch diesmal wieder nichts passieren wird.
Was wären denn die Alternativen für Betriebe, wenn sie Intensität aus der Tierhaltung rausnehmen müssten?
Schneider: Vielleicht kennen Sie das Buch «Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise» von Jakob Weiss. Das Buch hat mich sehr beeindruckt. Wenn die Bauern einmal im Hamsterrad der Intensivierung drin sind, dann müssen sie mitstrampeln. Ich würde mir erhoffen, dass die Initiative hier Tempo aus diesem Hamsterrad rausnimmt.
Schnider: Ich würde eher von Professionalisierung statt von Hamsterrad reden. Wenn du dich spezialisierst auf zwei, drei Betriebszweige, dann kannst du nicht zurück in die Idylle mit ein paar Tieren rund ums Haus. Du musst ja mit der Zeit gehen. Das Hamsterrad kommt übrigens von der Politik. Administrative Vereinfachung sieht anders aus.
Aber die 10 000er Kuh wurde ja nicht vom BLW verordnet …
Schnider: Nein, aber man hat jahrzehntelang gepredigt «wachst, werdet effizienter, Einkommen müssen steigen», das wurde geradezu verordnet.
Schneider: Wir brauchen dringend Preise, welche die effektiven Kosten decken. Der richtige Weg ist die Wertschöpfungsstrategie.
Schnider:Die Wertschöpfungsstrategie ist auch aus meiner Sicht die richtige, das schliesst aber eine Professionalisierung nicht aus.
Der Abstimmungskampf verläuft viel weniger engagiert als vor Jahresfrist, warum?
Schnider: Die Bauern sind müde sowie teilweise auch frustriert und resigniert. Neben allem anderen kommt jetzt das auch noch obendrauf, das ist aus meiner Sicht der allgemeine Eindruck.
Schneider: Es war letztes Jahr emotionaler und wäre natürlich auch weitergegangen für die Bauern mit der Trinkwasser-Initiative. Es geht einfach um weniger, und einen solchen Kampf wie letztes Jahr magst du nicht alljährlich stemmen.
Wagen Sie eine Prognose?
Schnider (zögert): Ich gehe von einem ähnlichen Resultat aus wie letztes Mal.
Schneider: Die Hoffnung stirbt zuletzt, ich denke, es gibt ein knappes Ja.
Hella Schnider
Wohnt in Flühli LU, Gemeindepräsidentin, Vorstandsmitglied Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband (LBV) und Landwirtschaftsforum Entlebuch. Der Junior hat den 12-ha-Grünland-Betrieb in der Bergzone II/III übernommen und den Stall umgebaut, Umstellung von Mastkälbern auf Mutterkühe. Eigene Alp Unter-Schwarzenberg.
Andreas Schneider
Wohnt in Walkringen BE, Gemeinderat, zuständig für Tiefbau. Der Junior ist noch in der Ausbildung. Er bewirtschaftet mit seiner Frau Kathrin einen 18-ha-Betrieb in der Bergzone I mit Grünland und etwas Ackerbau. 22 Hinterwälder Kühe für Milchproduktion, zirka 20 Rinder und Kälber, einige Hühner und drei Schweine.