Was ein Video in den Sozialen Medien auslösen kann, hat Alessia Matzinger-Bühler aus Corgémont im Kanton Bern erfahren. Spontan hat sie Mitte Monat ein emotionales Video zum Thema Massentierhaltungs-Initiative (MTI) und Umgang mit Lebensmitteln aufgenommen und auf Facebook hochgeladen. Die Reaktionen folgten postwendend. Stand der Dinge beim Schreiben dieses Artikels am 31. August 2022: 205'638 Aufrufe, 492 Kommentare, 5960-mal ist das Video geteilt worden. Das ist eine ganze Menge. Dass darunter nicht nur positive Kommentare zu finden sind, versteht sich von selbst.
Eine spontane Aktion
Die Thematik rund um Importfleisch und auch die MTI beschäftigt die gelernte Metzgerin schon lange. Als ihr dann von einem Landwirt Karotten und Kartoffeln angeboten wurden, die optisch nicht ganz den Anforderungen der Abnehmer entsprachen, ansonsten aber einwandfrei waren, lupfte es ihr den Deckel. Die junge Frau stellte kurzerhand die Ware vor sich hin, schloss rasch das Scheunentor, weil dahinter die Melkmaschine lärmte, und los gings. «Das kam wirklich spontan und von Herzen.» Dies erzählt sie beim Besuch der BauernZeitung auf ihrem elterlichen Bergbetrieb in der Gemeinde Courtelary. Dort oben auf 1303 m ü. M. verbrachte sie als Kind viele Sommer mit ihren drei Geschwistern. Noch heute hat sie dort ein Zimmer, welches sie öfters mit ihrem Mann Lukas Matzinger und der neun Monate alten Tochter bewohnt. «Wir wollen die Werte, die wir mitbekommen haben, auch unserer Kleinen mitgeben», sagt sie dazu.
Das Tierwohl steht an erster Stelle
Seit Alessia Matzinger-Bühler sieben Jahre alt ist, hilft sie aktiv im Stall mit. «Ich habe immer den Bezug zu den Tieren gehabt, ihn auch gesucht», erzählt sie in der Stube des Alpgebäudes. Dass zur Tierhaltung das Schlachten dazu gehört, hat sie von klein auf gelernt. Ihre Berufswahl stellt daher kein Widerspruch dar. Denn das Tierwohl steht für die junge Frau bis zum Schluss an erster Stelle.
Sachlich bleiben ist wichtig
Was das Video an Reaktionen auslöst, hätte sie sich «nid mau villich» vorstellen können, erzählt Alessia Matzinger-Bühler. Zu den Reaktionen auf Facebook kamen ebenso zahlreiche Nachrichten auf privatem Weg. Auch von Gästen der elterlichen Bergwirtschaft und gar von Konsumenten. Mehr als 98 Prozent der Reaktionen seien positiv gewesen. Der kleine Rest an negativen Kommentaren sei jedoch in sehr aggressivem Ton dahergekommen. «Die gaben mir noch mehr zu denken», erklärt die junge Frau nachdenklich. Die schlimmste Reaktion sei die, als sie als Mörderin betitelt wurde.
Auf die Nachfrage, was denn diese Person so esse, sei eine lange Liste zurückgekommen. Darunter zahlreiche Nahrungsmittel, die aus dem Ausland stammen und zu deren Produktion sehr viel Wasser benötigt wird, das wiederum den dort wohnenden Menschen zum Leben fehlt. Eine Diskussion entstand. Aber der beim Gespräch anwesende Bruder von Alessia Matzinger-Bühler, Tobias Bühler, wirft ein: «Mit diesen Menschen ist es nicht möglich, sachlich zu diskutieren.» Die Geschwister versuchten, in jeder Diskussion sachlich zu bleiben und nicht im selben aggressiven Ton zu reagieren. Dies sei ihnen jedoch nicht immer leicht gefallen.
Keine Freude am töten
Alessia Matzinger-Bühler bedauert, dass viele Menschen gar keine Ahnung, aber viel Meinung haben. Was die Auswirkungen der MTI sind, dass etwa Eier bei einer Annahme importiert werden müssten, die aus Käfighaltung stammen, was hierzulande seit Jahrzehnten verboten ist, sei denen nicht bewusst. Tobias Bühler ergänzt: «Der Beruf Landwirt/in wird so dermassen erniedrigt. Wir gehen nicht jeden Morgen in den Stall und freuen uns daran, heute ein Tier töten zu können», enerviert er sich.
Wut ist der falsche Weg
Alessia Matzinger-Bühler ist froh darüber, trotz einiger sehr aggressiver Kommentare keine Drohungen erhalten zu haben. Die Flut an Reaktionen hat sie dennoch überfordert. Irgendwann habe sie aufgehört zu lesen. «Die negativen Kommentare haben mich stark mitgenommen, ich musste das Handy weglegen», erzählt sie. Dennoch würde sie es heute nochmals machen. «Es hat viele Menschen zum Nachdenken gebracht», ist sie überzeugt. Ein ungeplantes Video komme zwar sehr ehrlich und authentisch rüber, biete aber auch viel Platz für Angriffe. Die junge Frau gibt daher allen den Rat, ein Video vor der Veröffentlichung unbedingt jemanden nahestehenden zur Ansicht zu geben.
Und es soll darin nichts gesagt werden, was man selbst beim täglichen Einkauf nicht einhalten kann. Tobias Bühler ergänzt: «Und nicht mit Wut dahinter gehen, Aggressivität bringt nichts!» Beide sind sich bewusst, dass es von allen Akteuren in der Landwirtschaft noch viel Aufklärungsarbeit brauche, bis zur Abstimmung am 25. September. Auch weitere Betroffene, wie Metzger, sollen informieren und in ihrem Umfeld Aufklärung betreiben, fordert Alessia Matzinger-Bühler.