Es war ein Redemarathon sondergleichen. Über 50 Mitglieder des Nationalrats wollten das Wort ergreifen, um für oder wider die Massentierhaltungs-Initiative (MTI) zu argumentieren. Das Verdikt war aber schlussendlich klar. Sowohl die MTI selber (111 zu 60 Stimmen, 19 Enthaltungen), wie auch der Gegenvorschlag des Bundesrates (107 zu 81 Stimmen) unterlagen klar. Dasselbe Schicksal ereilte auch den Rückweisungsantrag einer rot-grün-grünliberalen Minderheit (106 zu 81 Stimmen), welche auf diesem Weg einen indirekten Gegenvorschlag (auf Gesetzesstufe) zu erzwingen hoffte.
«Es gibt in der Schweiz keine Massentierhaltung»
Die Voten der Befürworter glichen sich ebenso, wie diejenigen der Gegner. Deren Mantra lautete: «Es gibt in der Schweiz keine Massentierhaltung». Diesen Satz hörte man immer wieder. Gleichzeitig verwiesen sie stets auf das hohe Tierschutzniveau in der Schweiz und die Gefahr, dass bei noch strengeren Vorschriften sowohl Importe wie auch Einkaufstourismus gefördert würden.
Die Befürworter(innen) hingegen plädierten für ein Ja zur Initiative oder mindestens zu einem der Gegenentwürfe. Sie räumten zwar mehrheitlich ein, dass die Schweiz bereits über ein sehr hohes Tierschutz-Niveau verfüge, dass aber trotzdem viel Verbesserungsbedarf bestehe. Sie verwiesen zudem mehrfach auf die im Volksbegehren vorgesehene lange Übergangsfrist von 25 Jahren. 2047 werde die Welt eine andere sein und der Fleischkonsum wesentlich tiefer, so prognostizieren sie. Generell entstand der Eindruck, dass der Fleischgenuss via Initiative reduziert werden soll, obwohl dieser gar nicht im Wortlaut enthalten ist.
SBV: Nationalrat anerkennt hohes Tierschutzniveau
Die Reaktionen auf das Verdikt folgten auf dem Fuss. Der Schweizer Bauernverband (SBV) erklärte in einer Mitteilung, der Nationalrat anerkenne das hohe Schweizer Tierschutzniveau. Dessen Entscheide seien richtig. Die Schweizer Landwirtschaft zeichne sich durch eines der strengsten Tierschutzgesetze weltweit aus. Der besonders hohe Tierwohlstandard sei den viel genutzten freiwilligen Zusatz- und Labelprogrammen, gesetzlich geregelten Höchsttierbeständen sowie einem funktionierenden Kontrollsystem zu verdanken. Zudem gebe es auch für weitergehende Anforderungen ein ausreichend grosses Angebot an tierischen Lebensmitteln.
Die MTI hätte laut SBV die Bio-Richtlinien in der Tierhaltung vorgeben wollen. Damit würde der Schweizer Bevölkerung die Wahlfreiheit entzogen und eine massive Erhöung der Preise für tierische Produkte in der Schweiz unumgänglich. Die Umsetzung würde zudem Tausende von zusätzlichen Ställen bedingen, was der Raumplanungspolitik diametral entgegenstehe.
Der ebenfalls abgelehnte direkte Gegenvorschlag wiederum hätte vor allem auf die Rindviehhaltung die grössten Auswirkungen und würde die Landwirtschaft im Berggebiet empfindlich treffen, schreibt der SBV. «Hier wären sehr viele und zum Teil gar nicht umsetzbare Umbauten sowie eine Verteuerung der Produktion die Folge». Zudem fehlten Auflagen für Importe.
Auch für eine mit Aufwand und Verzögerungen verbundene Zusatzschlaufe über eine Rückweisung bestehe weder eine Notwendigkeit noch die zeitliche Möglichkeit aufgrund der geltenden Fristen, so der SBV.
Initianten verurteilen Entscheid scharf
Der Verein «Ja zur Initiative gegen Massentierhaltung» verurteilt den heutigen Entscheid des Nationalrats scharf. «Nachdem der Bundesrat im Mai einen bereits mehr als zahmen Gegenentwurf zur Initiative ans Parlament überwiesen hat, ignoriert der Nationalrat den von der Landesregierung klar dargelegten Handlungsbedarf komplett und verweigert sich jeglichen Bemühungen, den Schutz von Tieren in der Landwirtschaft zu stärken», so das Komitee. Während sich die Bevölkerung immer stärker für Tierschutzanliegen ausspreche und die Detailhändler rekordhohe Absatzzahlen mit Fleischersatzprodukten erzielten, spitzten sich die Zustände für Tiere in der Landwirtschaft weiter zu.
Für Philipp Ryf, Co-Kampagnenleiter der Initiative, ist laut der Mitteilung insbesondere der Widerstand der Bauernschaft unverständlich: «Bäuerinnen und Bauern wollen ein möglichst gutes Leben für ihre Tiere. Heute steht dieser Wunsch im Gegensatz zum massiven Preisdruck, der nicht zuletzt durch Billigprodukte aus dem Ausland verursacht wird. Deshalb sieht unsere Initiative auch eine Importklausel vor, die Schweizer Betriebe vor Billigprodukten aus dem Ausland schützt», lässt er sich zitieren.
Der Ständerat habe nun in der Frühjahrssession die Möglichkeit, den «unhaltbaren Entscheid des Nationalrates noch zu korrigieren und die Weichen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu stellen», so die Initianten.
STS und VKMB: «Kein Herz für Tiere»
Auch der Schweizer Tierschutz STS und die Kleinbauern-Vereinigung VKMB gehen mit der grossen Kammer scharf ins Gericht. Die Stimme der Bevölkerung und vieler Bäuerinnen und Bauern sei nicht gehört worden. Im Nationalrat habe sich die Lobby des SBV einmal mehr durchgesetzt. Dieser Entscheid bedeute Stillstand bei Tierwohl und Nachhaltigkeit.
In der Debatte zur MTI habe sich die grosse Kammer gegen jegliche Verbesserungen beim Tierwohl gestellt – dies obwohl der Bundesrat in seiner Botschaft zum direkten Gegenentwurf den Handlungsbedarf bestätigt habe. Damit verweigerten sich die Parlamentarier(innen) einem Anliegen, das in Landwirtschaft und Gesellschaft immer mehr Unterstützung finde. Dasselbe gelte auch für die Rückweisung des Rückweisungsantrags von Nationalrat Kilian Baumann an die WAK-N. Auch hier habe sich der Nationalrat gegen mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft entschieden. Fazit: Es fehle ihm am Herz für Tiere.
STS und VKMB seien überzeugt, dass es diesen Systemwechsel braucht. Denn die aktuelle Tierproduktion mit Hochleistungszucht und Massentierhaltung geht in die falsche Richtung. Es ist eher eine Flucht in die «Produktivitätsfalle» als ein wegweisender Ansatz hin zu einer nachhaltigen und bäuerlichen Lebensmittelproduktion, die die Gesundheit und das Wohl der Tiere sowie die Umweltanforderungen gewährleisten kann.