Als ich die Kühe von der Weide holte, stach sie mir direkt ins Auge: Kuh Nummer 1716, Ricka, kam mir mit einer knallroten Nase entgegen. Mir war sofort klar, was dies bedeutet. Die Blauzungenkrankheit (franz. FCO) ist auf unserem Betrieb angekommen. Ricka hatte glücklicherweise einen milden Verlauf. Wir überprüften zweimal am Tag die Temperatur und gaben prophylaktisch Entzündungshemmer. Sie verlor etwas an Milch und die Nase verkrustete stark, doch letztlich hat Ricka die Seuche nach einer Woche überstanden.

Plötzlich ist sie da

Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch bei uns ein Fall auftauchen würde, denn im Dorf gab es schon mehrere betroffene Kühe, teils mit schweren Verläufen bis zum Festliegen und Verwerfen des Kalbes. Nicht unweit von uns hat ein Schafbauer 70 seiner 200 Schafe verloren.

Obwohl es schon 2023 Fälle von Blauzunge in Nordfrankreich gab, sind wir Landwirte uninformiert und unvorbereitet. Am 20. August erhielt ich eine Mail des Rindergesundheitsdiensts mit einer Karte der betroffenen Regionen. Gemäss dieser Karte war die Seuche noch 500 km weit entfernt. Doch eine Woche später gab es den ersten Fall bei uns im Dorf.

Bremst der Winter?

Als der Tierarzt bei uns auf dem Hof war, habe ich mich erkundigt, ob wir etwas tun könnten. Die Antwort: «Die Tiere vor Mücken schützen und bei einem Verdacht schnell reagieren. Und die Symptombehandlung starten.» Impfstoffe für den Serotyp 3 sind beschränkt vorhanden, jedoch ist in unserer Gegend der Serotyp 8 vorherrschend, wogegen es keinen Impfstoff zu kaufen gibt.

Die Landwirte hoffen deshalb, dass der nahende Winter die Weiterverbreitung ausbremst. Frankreich hingegen hat diese Woche seine Strategie bekannt gegeben. Und zwar vergibt man den Impfstoff gegen den Serotyp 3 gratis, dies jedoch nur in einem 200 km breiten Band, das von Norden nach Süden durch Frankreich verläuft. So soll die Ausbreitung von Westen nach Osten gebremst werden.

Jedoch ist die Impfung nicht obligatorisch, weshalb dieser Pufferstreifen wohl nicht effektiv Schutz für den Osten bringen wird. Wir würden auf jeden Fall gerne impfen und wer schon einmal die Karte von Frankreich studiert hat, weiss, dass wir ziemlich genau in der Mitte sind. Unsere Gemeinde ist nicht «auserwählt». Unsere Nachbargemeinden östlich von uns liegen im Pufferstreifen, wir im «verseuchten Westen» nicht – also kein Gratis-Impfstoff für uns. So müssen wir wie viele andere auch auf einen Winter hoffen, der den Mücken den Garaus macht.

Unsere Gemütslage verbessert sich jedoch, wenn wir einen Blick hinter unseren Stall werfen.

Endlich den Mais geerntet

Endlich konnten wir unseren Mais ernten und die Silowurst ist deutlich länger geworden als gedacht. 61 Meter Ganzpflanzensilage von 4,5 Hektaren Mais, der auf 900 m ü. M. gewachsen ist, übertreffen unsere Erwartungen deutlich. Vor allem, da er so einiges ertragen musste, diesen Sommer.

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Mit einem nasskalten Start im Frühling verzögerte sich das gesamte Wachstum. Als es dann endlich warm wurde, erwischten wir ein übles Unwetter mit Hagel, der alle vorhanden Blätter zerschlug. Trotzdem kam der Mais dann um den 1. August herum doch noch in die Fahne. Und als die Körner zu schwellen begannen, bedienten sich Dachs, Hirsch und Wildschwein ungeniert direkt ab unserem Feld. Zum krönenden Abschluss hatte auch noch der Häcksler eine Panne.

Premiere bestanden

Es war also eine Achterbahn der Gefühle bei unserer Premiere im Maisanbau. Bisher gab es nur Naturwiesen auf unserem Betrieb. Nur wenige Parzellen sind bei uns ackerfähig, da wir sehr durchmischten Vulkanboden haben, von felsig-flachgründigem, hellbeigem und steinigem bis zu dunkelbraunem, vernässtem Boden.

Auf unseren besten Böden möchten wir mit einer Mais-Kunstwiesen-Rotation die Futtermenge und die Qualität steigern. Dieses Jahr fällt aber das Wintergrün schon einmal wortwörtlich ins Wasser. Den Mais konnten wir nun zwar an einem trockenen Tag ernten, jedoch ist für mindestens die nächsten zwei Wochen Dauerregen angesagt. Deshalb ist die Hoffnung gering, dass sich eine Ansaat unter diesen Bedingungen lohnen würde.

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Unser Ziel für dieses Jahr haben wir aber mehr als erreicht, weshalb wir schon etwas stolz auf unsere Futtervorräte schauen. Mit der gleichen Menge Land haben wir deutlich mehr Futter produziert als das letzte Jahr.

Dieser erste Sommer hat viele Herausforderungen für uns gebracht und die Blauzungenkrankheit wird uns in Frankreich wahrscheinlich auch nächstes Jahr beschäftigen, aber jetzt ist endlich der Moment da, um durchzuatmen. Nur kurz zwar, denn auch im Winter stehen Projekte an, aber unsere erste eigene Futtererntesaison ist offiziell beendet!

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Zur Person: Lena Junker hat Agrarwissenschaften an der ETH Zürich studiert. Danach hat sie in der Schweiz für eine Futtermittelfirma gearbeitet, bis sie Ende 2022 nach Frankreich ausgewandert ist. Gemeinsam mit ihrem Freund Mathieu ist sie auf dem Betrieb von Michelle und Christian Agay angestellt, den die beiden per 2024 übernehmen wollen. Der Betrieb liegt im Massif Central auf 850 m ü. M., umfasst 96 Hektaren und  65 Milchkühe mit Aufzucht. Die Milch wird an die regionale Molkerei verkauft, wo der AOP-Käse Bleu d’Auvergne hergestellt wird.