Nach hundert Tagen im Amt hat Urs Schlüchter, der neue Direktor von Emmentaler Switzerland (ES), die Medien zu einem Informationsaustausch in der Zürcher Stadtkäserei eingeladen. Im Gespräch äussert er sich zu den rückläufigen Exportzahlen und Strategien, um in der gegenwärtigen anspruchsvollen Lage den Absatz auf zufriedenstellendem Niveau zu halten.
Herr Schlüchter, die Zahlen bezüglich Produktion und Export sind nicht gerade grossartig, auch bei anderen Sorten. Ist das die Korrektur nach dem Corona-Boom oder Grund zu nachhaltiger Sorge?
Urs Schlüchter: Ich würde sagen, es ist nicht Grund zu nachhaltiger Sorge. Wir haben uns natürlich erhofft, dass der Corona-Trend anhält, aber das ist leider nicht so. Das ist vor allem auf das wirtschaftliche Umfeld im EU-Raum mit starker Inflation zurückzuführen. Wir sind sehr exportlastig, und das spüren wir. Sobald sich das wieder ändert, wirds auch wieder besser mit dem Käseabsatz. Aktuell müssen wir durch diese eher stürmische Zeit, damit danach wieder besseres Wetter kommt.
Welche Länder tun sich als Sorgenkinder hervor?
Deutschland ist sicher eher ein Sorgenkind als andere Märkte, auch weil es ein grosser Abnehmer ist. Dort stehen im Moment alle Zeichen auf Sparen, Sparen, Sparen. Wider Erwarten sind derweil die Zahlen in Italien sehr positiv, der Absatz konnte gegenüber dem letzten Jahr sogar noch verbessert werden.
Es gibt viel Emmentaler auf der Welt, mit welchen Massnahmen wollen Sie das Profil des Originals stärken?
Wir müssen es schaffen, den Käse überall im Ausland mit unserer Strahlenmarke und unserem Markenbild zu versehen, sodass ihn die Konsument(innen) erkennen – sei es an der Theke oder in der Selbstbedienung.
Sie wollen die Marke Emmentaler AOP international besser schützen, wo stehen Sie da?
Derzeit laufen verschiedene Verfahren, um Emmentaler international besser zu schützen. Zum einen geht es um die Ausdehnung der geografischen Marke Emmentaler in die EU. Am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ist dazu ein Verfahren hängig. Zudem gibt es das neue Instrument der Genfer Akte. Damit können geschützte Ursprungsbezeichnungen mittels eines einfachen Verfahrens in die Mitgliedsländer der Genfer Akte ausgedehnt werden. ES hat das entsprechende Gesuch eingereicht. In beiden Verfahren geht es darum, dass Emmentaler, der nicht aus der Schweiz stammt, entsprechend deklariert werden muss. Wir wollen, dass andere Herkünfte in gleicher Schriftgrösse und auf der Frontseite der Packung ausgewiesen werden. In Italien klappt das dank des Stresa-Abkommens gut, in Deutschland und Frankreich gibt es mehr Probleme. Wenn wir Importeure und Abpacker in Italien abmahnen, ist das im Normalfall kein Problem, da wir in der Vergangenheit schon diverse Fälle für uns entscheiden konnten. Das spricht sich natürlich herum.
Sie wollen in Italien als neue Form hauchdünne Käsescheiben verkaufen und den Absatz testen. Warum tun Sie das nicht gleich in der Schweiz? Der niederländische Leerdamer zum Beispiel ist ja bereits erfolgreich und flächendeckend in der Schweiz vertreten.
Leerdamer ist natürlich ein top Beispiel. Er hat den Scheibentrend ausgelöst. In der Schweiz können wir aber nicht einfach zu einem Händler gehen und ihn beauftragen, ab sofort Scheiben zu machen. In Italien ist es uns gelungen, einen Händler zu finden, der dies tut.
In der Schweiz fehlt die Bereitschaft, dies zu tun?
Das würde ich nicht sagen. Man war einfach bis heute noch nicht so weit. Ich hatte in meinen ersten hundert Tagen noch keine Zeit, jemanden zu suchen, aber ich bin überzeugt, dass es Interessenten gibt. Wir sollten dieses Terrain nicht unbearbeitet lassen.
Derzeit sind die Produktionsfreigaben mit 40 Prozent tief, welche Entwicklung erwarten Sie?
Es ist schwer zu sagen, wie sich das weiterentwickelt. Wir entscheiden alle zwei Monate über die Freigabe, bald fällt wieder ein Beschluss. Dreimal hintereinander sind wir jetzt bei 42 / 40 Prozent geblieben. Gibt man mehr frei, kommen wir wohl relativ schnell wieder in eine kritische Phase, bleibt man zu lange auf diesem Niveau, stellt sich je länger, desto mehr die Frage, ob es sich überhaupt noch lohnt, Emmentaler AOP herzustellen. Es ist eine Gratwanderung. Geht es mit der Menge wieder aufwärts, dann sicher nicht sprunghaft. Gerade bei Betrieben, die vor Investitionen stehen, stellt sich schon die Frage: Wie geht es weiter? Letztlich wird der Markt zeigen, wo es hinführt.
Geht der Strukturwandel deshalb noch weiter?
Der Strukturwandel ist jedenfalls nicht vorbei. Heute haben wir 100 Käsereien. Aber wie weit es noch geht, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Gibt es Pläne für eine Grössenbeschränkung wie bei Gruyère?
Eine Grössenbeschränkung für Käsereien oder Betriebe ist bei uns kein Thema. Der grösste Betrieb hat heute eine Referenzmenge von knapp 1400 Tonnen.
Sie wollen die Agilität steigern, können Sie etwas genauer werden?
Wir müssen schneller erkennen, welche Konsumformen künftig gefragt sind. Das Produkt als solches bleibt ja gleich, aber die Art der Konsumation wird sich ändern. Wir müssen mit dem Produkt zum Konsumenten und nicht umgekehrt. Wenn wir warten, können wir nicht gewinnen. Wir müssen einen proaktiven Part einnehmen und andere Möglichkeiten finden, den Emmentaler AOP näher ans Publikum zu bringen.
[IMG 2]
Wie wichtig werden die bedienten Vitrinen künftig noch sein?
Hier gibt es Probleme, weil zunehmend die Fachleute fehlen. Coop macht es aktuell mit seinem «Shop in Shop» in den sehr grossen Filialen äusserst gut, aber in kleineren Verkaufsstellen wird die Theke verschwinden. Deshalb müssen wir schauen, dass wir in der Selbstbedienung sehr gut aufgestellt sind. Grundsätzlich haben wir die Herausforderung, dass der Emmentaler AOP bei jüngeren, berufstätigen Personen im Alltag praktisch vom Frühstückstisch verschwunden ist. Wir müssen versuchen, die jüngeren Leute über neue Angebotsformen wieder zum regelmässigen Käsekonsum zu bewegen.
Das Produktionsgebiet von Emmentaler AOP soll um die Kantone Glarus und Schwyz verkleinert werden, was ist der Hintergrund?
In den beiden Kantonen gibt es weder Produzenten noch Käsereien. Mit einer Verkleinerung des Produktionsgebiets können wir das Profil des Emmentaler AOP schärfen.
Die Käsereimilch hat im Vergleich zur Industriemilch preislich an Attraktivität verloren. Befürchten Sie, dass längerfristig der Rohstoff fehlen wird?
Das glaube ich nicht. Wir haben mit den Freigabemengen noch viel Potenzial, und das Blatt kann sich auch wieder mal wenden.
Sie wollen ja via Gesuch eine um 5 auf 29 Stunden verlängerte Produktionsfrist im Pflichtenheft, um den Betrieben mit automatischen Melksystemen die Arbeit zu erleichtern. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Das Gesuch ist beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) eingereicht und in Bearbeitung. Zusammen mit dem BLW und Agroscope sind wir an einer gemeinsamen Studie sowie an Versuchen und gehen davon aus, dass das BLW aufgrund dieser Studie entscheiden wird.