Die Abstimmung vom 13 Juni war mit dem doppelten Nein zu den Agrar-Initiativen ein Erfolg für die Landwirtschaft. Gleichzeitig boten die Resultate viel Diskussionsstoff für Politikfachleute, die Stimmbeteiligung war hoch und der Stadt-Land-Graben tief. Wir haben uns mit der Politologin Cloé Jans von GfS Bern über die Abstimmungsergebnisse unterhalten. Sie ist dort Leiterin operatives Geschäft und Mediensprecherin.

Frau Jans, war der Abstimmungskampf zu den Agrar-Initiativen tatsächlich besonders emotional oder war das nur die Wahrnehmung der Betroffenen?
Cloé Jans: Nein, das wurde sehr breit so wahrgenommen. Es ging für alle Beteiligten um vieles. Für die Bauern und Bäuerinnen um die Existenzgrundlage, für die Konsumenten um gesunde Lebensmittel. Das sind sehr alltagsnahe Themen und man hatte gegenseitig das Gefühl, die anderen wollen uns ans Lebendige. Das bedeutet, dass schnell viele Emotionen im Spiel sind.

Gibt es andere Beispiele für derart emotionale Abstimmungskämpfe?
Bei Migrationsvorlagen sind oft rasch die kulturellen Werte betroffen. Auch in der Frage der Abschaffung der Armee gab es sehr starke Emotionen. Bei Reformen im Gesundheitswesen geht es auch um viel, aber es ist so technisch, dass es den Leuten schwerfällt, den emotionalen Bezug herzustellen.

Hat Sie das doch eher deutliche Resultat der Agrar-Initiativen überrascht?
Nein, ich war nicht sonderlich überrascht. Es war ein ganz typischer Verlauf von Meinungsbildung bei Volksabstimmungen. In der Regel fängt man an mit grundsätzlicher Zustimmung zur Problemlage und den Grundwerten. Alle wollen sauberes Trinkwasser und keine Pestizide in den Nahrungsmitteln. Aber wenn der Abstimmungskampf fortschreitet, geht es vermehrt um die konkreten Lösungen. Und da gibt es immer eine Abnahme der Zustimmung. Ich hätte hier nie auf ein Ja gewettet.

«Man muss in der Demokratie ab und zu aufeinander zugehen.»

Hat auch die aktuelle Lage mit Covid-19 eine Rolle gespielt?
Ja, Corona spielt als Riesenthema sicher mit rein. In den letzten eineinhalb Jahren gab es nach einer anfänglichen Solidarität in der Schweiz trotz hohem Lebensstandard einen Verteilkampf. Man hat gesehen, dass das Geld nicht unbegrenzt vorhanden ist. Das ist nicht unbedingt förderlich für die nationale Kompromissfindung.

Die Resultate für die beiden Agrar-Initiativen waren schlussendlich praktisch identisch, haben es die Initianten verpasst, sich voneinander abzugrenzen, oder war das gar nicht möglich?
Dass es praktisch identisch herauskam, ist spannend, aber nicht sonderlich überraschend. Die beiden Initiativen waren ja thematisch extrem nahe und haben dieselben Leute bewegt. Die Hauptbotschaft der Gegner war ja auch «Nein zu allem». Das wurde dann vielerorts gerade auch noch auf das CO2-Gesetz angewendet, obwohl der Bauernverband dort Ja gesagt hat.

Wollte man denen in Bern oben wieder einmal zeigen, wo Bartli der Most holt?
Genau, wobei die Initiativen kamen ja nicht «aus Bern», sondern von ausserhalb des Parlaments. Es war ein Widerstandsvotum des Landes gegen Behörden, Politik und städtische Bevölkerung.

Deuten Sie das jetzt als einmaliges Phänomen oder ist der Stadt-Land-Graben ein dauerhafter Zustand?
Der Stadt-Land-Graben ist sehr real. Er wurde stark bespielt, aber der Nährboden dafür war auch gut. Corona hat dazu geführt, dass man genauer hinschaut, wer wie viel erhält und man interessiert sich stärker für Politik. Wir sehen, dass es grundsätzlich schwieriger wird, auch breit abgestützte Kompromisse wie das CO2-Gesetz an der Urne durchzubringen. Respektive es wird einfacher, dagegen zu schiessen. Dies aufgrund einer tiefen Spaltung in der Gesellschaft. Es gibt deshalb auch die Gefahr eines gewissen Reformstaus, obwohl die Probleme wie der Klimawandel auf dem Tisch liegen. Es ist extrem schwierig, tragfähige Lösungen zu erarbeiten.

Braucht es Reformen, z. B. mehr Unterschriften für Initiativen, so dass nicht jeder Verein eine Initiative starten kann?
Eine Reform der Volksrechte ändert nichts daran, dass wir eine zunehmende politische und gesellschaftliche Polarisierung haben. Die politischen Akteure müssen helfen, Verständnis dafür zu schaffen, dass Konsensdemokratien ab und zu einen Kompromiss brauchen, dass man aufeinander zugehen muss für eine Lösung. Aber auch in der Bevölkerung muss ein Umdenken stattfinden. Wenn es in Zukunft so ist, dass immer die einen auf Kosten der anderen verlieren, wird es sehr schwierig, zusammen einen Schritt weiterzukommen.

«Es ging beidseits ans Lebendige.»

Was waren aus Ihrer Sicht die entscheidenden Erfolgsrezepte der Initiativ-Gegner?
Die Kampagne war sehr erfolgreich. Die Mobilisierung auf dem Land war unglaublich. Je kleiner und ländlicher eine Gemeinde, desto mehr Leute gingen an die Urne. Man hat es sehr gut geschafft, die eigene Basis zu mobilisieren. Es gibt aber immer verschiedene Erfolgsfaktoren. Diesmal hat es sicher geholfen, dass man eine Kampagne gegen beide Initiativen machen konnte, die beide ähnlich existenziell waren. Der Corona-Kontext hat zudem Nährboden für eine gewisse Behördenkritik geliefert und auch die anderen Vorlagen haben dieses «Es geht ans Lebendige»-Bild verstärkt: Treibstoff wird auch noch teurer und die Terrassen machen sie uns auch noch zu. Das führte zu hoher Dringlichkeit. Es gelang gut, zu vermitteln, dass es um viel geht.

Wie beurteilen Sie die Befürworterkampagne?
Die Einigkeit wie im Gegnerlager gab es dort in dieser Form nicht. So musste man lange darüber diskutieren, warum die Biobauern einmal Nein sagen. Grundsätzlich ist es aber immer schwieriger, Veränderungen zu erklären und das ist hier definitiv nicht gelungen. Es ist einfacher Nein zu sagen, dann bleibt alles beim Alten.