Gegen die Agrar-Initiativen werden meist agrarpolitische und wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt. Von rechtlichen Aspekten war bisher wenig die Rede. Nun meldete sich in einem Gastbeitrag für die «NZZ» der Agrarrechtler Paul Richli zu Wort.
Richli sieht schwerwiegende verfassungsrechtliche Argumente gegen die Initiativen. «Möglicherweise wäre es sogar geboten gewesen, die eine oder andere Initiative für teilungültig oder für ganz ungültig zu erklären, weil sie im Fall der Annahme möglicherweise faktisch gar nicht umgesetzt werden könnten.»
Paritätseinkommen gefährdet
Zur Illustration listet der emeritierte Professor der UniversitätLuzern einige Konflikte auf:
- Einkommen: Aufgrund von Verfassung (BV) und Landwirtschaftsgesetz muss der Bund dafür sorgen, dass leistungsfähige Bäuerinnen und Bauern ein Einkommen erzielen können, das mit den Einkommen anderer Berufsgattungen in der Region vergleichbar ist. Dieses Ziel ist schon heute nur für einen kleinen Teil der Betriebe erfüllt. Da die Rede von 20–40 Prozent Einkommenseinbusse ist, würde die Verwirklichung des Einkommensziels zusätzlich massiv beeinträchtigt.
- Selbstversorgung: Aufgrund von Art. 104a BV muss sich der Bund für einen Selbstversorgungsgrad von rund 60 Prozent einsetzen. Darauf hat schon der Bundesrat hingewiesen. Bei Annahme der Initiativen könnte dieses Ziel klar nicht mehr eingehalten werden.
- Verhältnismässigkeit: Dramatische Konflikte würden sich laut Richli mit dem in der BV verankerten Gebot der Verhältnismässigkeit ergeben. Die beiden Initiativen würden möglicherweise dazu führen, dass nicht weniger, sondern mehr Umweltbelastung entstünde.
Krasser Gegensatz zur Rechtssprechung
Beide Initiativen wären unterdiesen Umständen ungeeignet und damit unverhältnismässig, schreibt Richli, um gleich ein Beispiel zu nennen: Ein Betrieb versorgt seine Tiere mit Futter, das ohne Pestizideinsatz angebaut wird. Daneben betreibt er unter Einsatz von Pestiziden Ackerbau. Diesem Betrieb würden nachdem Wortlaut der Initiativen die Direktzahlungen für den ganzen Betrieb verweigert. Dies stünde in krassem Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesgerichts.
Die Umstellung der ganzen Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf den Biostandard wäre unter Sicherung angemessener Preise wohl unmöglich, weil die Nachfrage zu den höherenBiopreisen massiv hinter demviel grösseren Angebot zurückbleiben dürfte und die Preise daher ebenfalls massiv sinken würden, schreibt Richli. Derweil müsste auf der Produktionsseite mit Kostensteigerungen gerechnet werden. Dadurch ergäbe sich eine unverhältnismässige Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit der landwirtschaftlichen Betriebe.
Dem Bund droht Entschädigungspflicht
Hinzu kommt laut Richli, dass aufgrund des ebenfalls in der BV verankerten Vertrauensschutzes, des Schutzes von Treu und Glauben sowie der Eigentumsgarantie die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Übergangsfristen für die Initiativumsetzung zu kurz sind und dass der Bund daher das Risiko laufen würde, für nicht amortisierbare Investitionen Entschädigungen leisten zu müssen.
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