Hat Ihnen je einmal jemand am Regal eines Grossverteilers stehend die Frage gestellt, mit welchem Spritzmittel die Tomate in seinem Einkaufskorb wohl behandelt worden ist? Oder hat Ihnen je einmal jemand in Ihrem eigenen Hofladen die Frage gestellt, woher das Soja stammt, das dieses Tier gefressen hat, von dem er oder sie eben gerade ein Mischpaket gekauft hat? Wenn, dann passiert das nur ausnahmsweise. Und das ist auch gut so.
Im laufenden Abstimmungskampf sind von Gegnern dieser beiden Agrar-Initiativen immer wieder sehr fachliche Kommentare zu lesen. Natürlich gibt es auch andere, aber nicht selten erklären fachlich fundierte Bauern oder Agronominnen die möglichen Auswirkungen bei Annahme der beiden Volksbegehren. Gerne verwenden sie dazu Zahlen und Fakten und erinnern an Verbote und Reglemente. Wenn ich so etwas lese, bin ich zwar beruhigt, wie Dossier-sicher unsere Bauern sind; ich bin aber auch sicher, dass diese meist ausführlich verfassten Beiträge niemand wirklich zu Ende liest. Ich erhalte zunehmend den Eindruck, dass viel weniger die Fakten zählen, als vielmehr die eigene Betroffenheit und Überzeugung. Ein Beispiel: «Woher stammen denn diese Pestizide in meinen Haaren, wenn ihr die anscheinend gar nicht auf euren Feldern rumspritzt», fragt mich eine junge Bekannte. «Vom ukrainischen Leinsamen-Topping auf deinem Salat», gebe ich ihr zur Antwort. «Echt?», fragt sie. Ich schweige. Denn das Ziel ist erreicht. Hätte ich ihr nun noch die geplante Wirkung des Absenkpfads der Parlamentarischen Initiative erklärt, hätte ich kaum eine Reaktion erreicht. Sie hätte aufgrund mangelnden Interesses abgehängt. Aber hier stellt sich unweigerlich die Frage: Wann ist etwas zu viel und wann ist es zu wenig?
Tut die Landwirtschaft zu wenig?
Die landwirtschaftliche Bevölkerung bemüht sich. Und das bei Weitem nicht nur in der Kommunikation. Dennoch wirft man ihr (und das etwa nicht nur einmalig vor dem 13. Juni) vor, sie mache zu wenig. Tut sie das wirklich? Kann pauschal gesagt werden, dass die Schweizer Landwirtschaft zu wenig für die Umwelt tut? Im Abstimmungskampf zieht man zur Präsentation von Beweisen gerne die Biobauern herbei. Denn die zeigen ja, wie es ginge. Sie beweisen, dass eine Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide möglich ist.
Und sie tun sogar noch mehr. Bereits in einem halben Jahr nämlich dürfen sie ihre Wiederkäuer nur noch mit Schweizer Knospe-Futter füttern. Das heisst, dass ab dem 1. Januar 2022 keine importierte Soja oder Luzerne mehr eingesetzt werden kann. Das haben die Delegierten von Bio Suisse im Frühling 2018 entschieden. Damit sollen künftig alle Knospe-Kühe ihre Milch aus dem in der Schweiz verfügbaren Futter produzieren. Und dieses besteht hauptsächlich aus Gras. Das stellt nicht nur die Bauernfamilien sondern auch die Mischfutter-Hersteller vor Herausforderungen. Denn um die bisher importierte Soja durch einheimische zu ersetzen, müsste auf rund 2500 Hektaren Bio-Futtersoja angebaut werden. Das ist rund 25-mal mehr, als derzeit angebaut wird.
Die hohe Messlatte hat ihren Preis
Die Knospe-Bauern setzen also aus eigener Überzeugung die Messlatte, die in ihrer Höhe weltweit nicht zu überbieten ist, noch etwas höher. Sie nehmen einen augenfälligen Engpass von Eiweisskomponenten in der Wiederkäuerfütterung in Kauf. Damit riskieren sie auch, dass die Leistungen der Tiere sinken werden. Diese wären allenfalls mit höheren Preisen abzufedern, was derzeit aber nicht in Reichweite ist. Insbesondere im Fleischsektor sind die Preise für die Bioproduzenten bereits jetzt nur marginal höher als jene der anderen Bauern.
Und dennoch setzen die Knospe-Bauern die Latte noch einmal höher. Am Markt dürfte ihnen das schliesslich wenig bringen. Das Mischfutter wird sich wohl verteuern. Ob der Konsument diesen Mehrwert anerkennt und bereit ist, dafür einen Mehrpreis zu zahlen, bleibt fraglich. Die Knospe-Bauern erhalten aber Lob für ihr Engagement. Und das zumindest von jenem Teil der Bevölkerung, der weiss, was Nachhaltigkeit wirklich ist. Den anderen dürfte es egal sein. Und niemand wird fragen, was denn das Tier statt dem ausländischen Eiweissträger ab dem 1. Januar fressen wird.
Ein schmaler Grat
Dass sie zu wenig tun, kann man zumindest den Biobauern ganz bestimmt nicht vorwerfen. Für eine eklatante Enttäuschungs-Welle sind sie dann aber doch gut genug. Dann nämlich, wenn ihr Dachverband hinsteht und sagt, dass bei Annahme der Trinkwasser-Initiative die heutigen Biobetriebe, welche Milch und Fleisch produzieren, unter existenziellen Druck geraten würden. Das war dann doch zu viel. So wird aus dem engagierten Musterknaben der Schweizer Landwirtschaft ein «enfant terrible».
Wann ist etwas zu viel und wann ist es zu wenig? Wann engagiert sich die Landwirtschaft zu viel und wann zu wenig? Wann ist es zu viel Information, wann zu wenig Horn, wann zu viel Pflanzenschutz, wann zu viele Tiere in einem System, wann zu wenig Auslauf, wann zu viel Wahrheit? Dass sich die Bevölkerung für die Landwirtschaft interessiert, wird grossmehrheitlich als Bereicherung empfunden. Aber in einem demokratisch geführten Land wäre es wohl für alle einfacher, wenn die Landwirtschaft nicht derart anhaltend verpolitisiert worden wäre und es noch weiterhin wird. Eines ist ganz sicher zu viel in der Landwirtschaft: Politik.