1. Wie produzieren Schweizer Landwirte heute Lebensmittel?
Schweizer Bauern setzen Pestizide ein, um Früchte, Gemüse und Getreide vor Krankheiten und schädlichen Insekten zu schützen oder Unkräuter zu vernichten. Dabei unterscheidet man grob zwischen zwei Produktionsarten:
Konventionelle Landwirtschaft
Ungefähr neun von zehn Betrieben in der Schweiz sind konventionelle Betriebe. Das heisst: Sie erfüllen die Auflagen des «ökologischen Leistungsnachweis» (ÖLN).
Der ÖLN beschreibt einen Mindeststandard für eine umweltgerechte Landwirtschaft. Er umfasst unter anderem Richtlinien der Nutztierhaltung, der Düngung oder der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Chemisch-synthetische Pestizide dürfen in vorgegebenen Massen eingesetzt werden.
Biolandwirtschaft
Etwas mehr als jeder zehnte Betrieb in der Schweiz ist ein Biobetrieb. Im biologischen Landbau ist der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln verboten – was nicht heisst, dass kein Pflanzenschutzmittel eingesetzt wird. Es gibt eine Liste mit den für den Biolandbau zugelassenen Mitteln. Unter anderem wird viel Kupfer eingesetzt.
Pflanzenschutzmittel sind durch die zeitnahe Lancierung zweier Initiativen im Jahr 2018 zum Politikum ersten Ranges geworden. Am 13. Juni 2021 stimmt das Schweizer Volk über die beiden Vorhaben ab. Neben der Pestizidverbots-Initiative kommt auch die Trinkwasser-Initiative an die Urne.
2. Pestizide, Pflanzenschutzmittel, Biozide. Was ist der Unterschied?
Als Pestizide werden viele unterschiedliche chemisch-synthetische Stoffe und Stoffkombinationen bezeichnet. Sie sind giftig auf im jeweiligen Anwendungsbereich unerwünschte Organismen. Man kann die Pestizide nach Einsatzzweck unterteilen:
- in Pflanzenschutzmittel im Agrar-, Forst- und Gartenbereich
- in Biozide zur Bekämpfung unerwünschter Lebewesen im Haushalt, beispielsweise das Giftarsenal der Kammerjäger.
Die Pestizide werden nach Ziel-Organismen eingeteilt. So gibt es etwa Insektizide (gegen Insekten), Herbizide (gegen Pflanzen), Fungizide (gegen Pilze) und weitere.
3. Was will die Pestizidverbots-Initiative?
Die «Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» will ein Verbot sämtlicher synthetischer Pestizide in der Schweiz und auch für alle Import-Güter.
Der Einsatz synthetischer Pestizide wäre aber nicht nur in der Landwirtschaft verboten, auch Privat-Gärtner oder die SBB dürften keine entsprechenden Mittel mehr einsetzen. Das Verbot gilt auch in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
4. Wer hat die Pestizidverbots-Initiative eingereicht?
Die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» wurde von einem Komitee eingereicht, das unter anderem aus Winzern, Ärztinnen und Wissenschaftlern besteht. Insgesamt 16 Landwirte sind im Unterstützungskomitee aufgelistet. Die Initianten stammen mehrheitlich aus der Westschweiz. Der wohl berühmteste Sympathisant ist der Schauspieler und Sänger Carlos Leal.
Die Initiative wurde am 25. Mai 2018 eingereicht. Die Initianten sammelten laut eigenen Angaben 145'099 Unterschriften.
5. Bio-Bauern setzen auch Pestizide ein. Was ist der Unterschied zwischen den synthetischen und biologischen Pestiziden?
Synthetische Pestizide sind auf konventionellen Betrieben heute zugelassen. Sie werden durch einen chemischen Prozess hergestellt. Es sind Verbindungen, die in der Natur eigentlich nicht vorkommen. Ein Beispiel aus der Medizin ist das Aspirin. Die Verbindung wird durch eine chemische Synthese produziert
Nicht-synthetische Pestizide können verschiedenen Ursprungs sein:
- Organismen wie Bakterien, Viren und Pilze
- In der Natur weit verbreitete Tonerden
- Stoffe, die durch physikalische Verfahren aus Samen, Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Erdöl gewonnen werden.
Allerdings kann man nicht sagen, dass im Bio-Landbau keine synthetisch-hergestellten Pestizide zugelassen sind. Kupfersalze, Schwefel, Kaliumbicarbonat, Kaliseife und Eisenphosphat usw. werden im Biolandbau eingesetzt und werden durch ein chemisch-synthetisches Verfahren hergestellt.
Die Initianten definieren ein synthetisches Pestizid als ein von Chemikern erfundenes Molekül, das in der Natur nicht existiert.
5. Dürfen konventionelle Betriebe auch «Bio-Pestizide» einsetzen?
Klar! Es lässt sich seit Jahren eine starke Verschiebung von chemisch-synthetischen zu biologischen Pflanzenschutzmitteln feststellen. 41 Prozent der 2018 eingesetzten Pflanzenschutzmittel waren natürlichen Ursprungs und sind auch in der Biolandwirtschaft zugelassen. Synthetische Pestizide werden immer weniger eingesetzt. Unter anderem auch wegen des vor drei Jahren lancierten «Aktionsplan Pflanzenschutz». Dieser umfasst 50 Massnahmen, um den Pflanzenschutz zu optimieren, das damit verbundene Risiko zu halbieren und die eingesetzten Mengen zu senken.
Nur: Das Verbot synthetischer Pestizide würde auch den Biolandbau betreffen. Viele im Bio-Landbau zugelassene Pflanzenschutzmittel wurden in einem chemisch-synthetischen Verfahren hergestellt: Kupfersalze, Schwefel, Kaliumbicarbonat, Kaliseife und Eisenphosphat usw.
6. Welche Folgen hätte eine Annahme der Pestizidverbots-Initiative?
Es ist immer schwierig Prognosen zu machen. Insbesondere, weil die Übergangsfrist zehn Jahre beträgt. Trotzdem ein Versuch in die Zukunft zu schauen:
Bei einem vollständigen Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel würden die Erträge massiv zurückgehen, auch im Bio-Landbau.
In der konventionellen Landwirtschaft werden ohne Pestizide Ertragsverluste von 30 bis 50 Prozent erwartet. Bei Obst und Gemüse sogar bis 80 Prozent. Diese Mindererträge müssten mit vermehrten Importen gedeckt werden.
Der Bio-Landbau hat heute mit den oben erwähnten Pflanzenschutzmitteln schon 20 bis 30 Prozent weniger Ertrag als konventionelle Betriebe. Ohne die im Bio-Landbau zugelassenen Mittel würde der Ertrag auch im Bio-Landbau weiter sinken.
Entsprechend würden auch Lebensmittelpreise steigen. Unabhängige Studien über die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen einer Annahme der Initiative liegen der Redaktion nicht vor.
7. Was sind die Argumente der Befürworter(innen) der Pestizidverbots-Initiative?
- Für eine ökologische und faire Landwirtschaft: Wir stärken eine ökologische und faire Landwirtschaft, denn für Importe gelten dieselben Regeln wie für Schweizer Landwirte.
- Gesunde Lebensmittel für alle: Wir machen gesunde Lebensmittel allen Bevölkerungsschichten zugänglich und erschwinglich.
- Insektensterben stoppen und Biodiversität stärken: Wir stoppen das Insektensterben und stärken so die Biodiversität.
- Für sauberes Grund- und Trinkwasser: Wir schützen unsere Gesundheit, unsere Umwelt und unser Trinkwasser und damit die Lebensgrundlage der nächsten Generationen.
- Wir gewähren eine zehnjährige Übergangsfrist bis unsere Forderung - ein Verbot von synthetischen Pestiziden - umgesetzt sein muss.
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8. Was sind die Argumente der «Allianz gegen die Agrar-Initiativen»?
- Die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten können nur noch Bioprodukte pflanzlicher Herkunft kaufen und die Kosten für das Essen würden sich stark erhöhen.
- Um die Versorgung der Schweizer Bevölkerung trotz einer drastischen Reduktion der einheimischen Produktion sicherzustellen, müssten wir zwangsweise mehr Lebensmittel importieren.
- Synthetische Pestizide kommen auch in der Lebensmittelindustrie zur Schädlingsbekämpfung oder als Reinigungs- und Desinfektionsmittel zum Einsatz. Maschinen in der Nahrungsmittelproduktion könnten nicht mehr sachgerecht gereinigt, die Hygiene vom Stall bis zur Backstube nicht mehr garantiert werden. Die Lebensmittelsicherheit wäre nicht mehr gewährleistet.
- Da die Schweizer Produktion sinkt, gingen auch in den vor- und nachgelagerten Branchen der Land- und Ernährungswirtschaft Arbeitsplätze verloren. Betriebe in der Lebensmittelindustrie beispielsweise würden ins Ausland verlagert
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9. Wer ist dafür? Wer ist dagegen?
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Erklärungen zur Tabelle: Die Parolenfassung zur Pestizidverbots-Initiative (PVI) ist noch nicht überall erfolgt. Die SVP wird anlässlich der Delegiertenversammlung vom 27. März definitiv entscheiden. Bei den Verbänden fassen die Schweizer Milchproduzenten keine eigene Parole, sie sind aber Mitglied der 2x Nein-Allianz unter Führung des SBV. Die Agrarallianz fasst aufgrund ihrer heterogenen Zusammensetzung keine Parole. Bei IP-Suisse hat der Vorstand einstimmig zwei Nein beschlossen. Bei Bio Suisse hat die letzte Delegiertenversammlung ein Ja zur PVI beschlossen, bei der TWI gab es Probleme mit dem Abstimmungsprozedere, deshalb wird die Parolenfassung im April wiederholt, der Vorstand empfiehlt eine Nein-Parole. Die Uniterre sagt klar Nein zur TWI und bei der PVI «Ja, aber nur unter bestimmten Bedingungen», hier gibt es viele Unbekannte, welche einen Teil der Entscheidungsträger(innen) vor einem klaren Ja zurückschrecken lässt. (Quellen: Auskünfte und Mitteilungen der Parteien und Verbände)
Der Bundesrat empfiehlt die Pestizidverbots-Initiative zur Ablehnung.
10. Welche Organisationen unterstützen die Pestizidverbots-Initiative?
Das Komitee «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» kann auf die Unterstützung einiger Verbände und Organisationen zählen.
- Schweizerischer Demeter-Verband
- Bio Suisse
- Pro Natura
- Klimastreik
- Uniterre
- Kleinbauernvereinigung
- Landwirtschaft mit Zukunft
- Greenpeace
- Schweizerischer Fischereiverband
11. Welche Organisationen bekämpfen die Pestizidverbots-Initiative?
Viele Bauern-, Branchen-, und landwirtschaftlichen Interessensverbände der Schweiz sind im Nein-Lager zu finden. Sie haben sich zur «Allianz gegen die Agrar-Initiativen» zusammengeschlossen. Auch Privatpersonen bieten mit speziellen Einzelaktionen der Initiative die Stirn.
Die Detailhändler Migros und Coop sind gegen die Initiative, geben dies aber nur kleinlaut bekannt. Bisher einzige öffentliche Verlautbarung von Coop ist ein Statement der IG Detailhandel, der den vom Parlament eingeschlagenen Weg der Absenkpfade unterstützt. Die Migros schreibt in einem Newsletter zur Wirtschaftspolitik, dass sich «die Initiativen mit gutem Gewissen bekämpfen lasse», wenn die im Parlament beschlossenen Absenkpfade wie geplant umgesetzt werden.
Auch die Fenaco gehört dem Nein-Lager an. Vor ihren Landi-Filialen will sie aber keinen Abstimmungskampf betreiben.
12. Was empfiehlt der Bundesrat?
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» ohne Gegenvorschlag abzulehnen. «Eine Annahme der Volksinitiative hätte weitreichende und schädliche Folgen für die Schweizer Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Lebensmittelsicherheit», schreibt der Bundesrat. Effiziente Hilfsmittel würden fehlen, um die landwirtschaftlichen Kulturen und Ernten zu schützen. «Ohne synthetische Biozide in der Stallhygiene, in der Verarbeitung und bei der Lagerung von Lebensmitteln würde die Einhaltung der Hygienevorschriften und die Gewährleistung der Sicherheit der Lebensmittel erschwert», so der Bundesrat weiter.
13. Wieso sind die meisten Landwirtschaftsverbände gegen die Pestizidverbots-Initiative?
In den Regalen der Detailhändler liegen einwandfreie Produkte, ohne Wurmstich, ohne Schorf oder anderen Schönheitsmakel. Um die Lebensmittel in der geforderten Qualität und Menge produzieren zu können, müssen Landwirte ihre Kulturen vor schädlichen Insekten, Krankheiten oder Pilzen schützen. Die Mittel, um die Pflanzen zu schützen, sind teuer und aufwändig im Umgang. Niemand möchte davon mehr einsetzen als nur unbedingt nötig. Trotz aller Bemühungen, Krankheiten und Schädlinge von den Kulturen fernzuhalten, kommen Landwirte oft nicht darum herum, ihre Pflanzen mit Pflanzenschutzmitteln zu schützen oder zu behandeln.
Ohne Pflanzenschutz drohen hohe Ernteverluste. Diese Verluste fehlen später auf den Tellern der Schweizer Bürgerinnen und Bürgern. Produkte, die ohne den Einsatz synthetischer Pestizide hergestellt wurden – und nur diese Produkte – müssten importiert werden. Die Bauern haben Angst, dass diese Importauflagen den Spielregeln des internationalen Handels nicht entsprechen und gar nicht durchsetzbar wären.
Die Schweizer Landwirte haben erkannt, dass es nicht weitergehen kann wie bis anhin. Deshalb wurden verschiedenste Programme und Pläne eingeführt, die die Risikoreduktion des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes zum Ziel haben. So dürfen in der Schweiz zum Beispiel blühende Kulturen nicht behandelt werden – um Bienen zu schützen. Es gibt Wartefristen zwischen der letzten Behandlung der Kultur mit einem Pestizid und dem Verkauf. Oder gesetzlich geregelte Mindestabstände zu Flüssen und Seen, die eingehalten werden müssen. Verstossen Landwirte gegen diese Gesetze, werden sie gebüsst.
Weiter ist zu erwähnen, dass Landwirte keine verbotenen Stoffe ausbringen, sondern Mittel einsetzten, die von mehreren Instanzen des Staates zugelassen wurden. In Sachen Dosierung, Handhabung und Zeitpunkt der Spritzung werden Landwirte von ausgewiesenen Fachleuten beraten und unterstützt.
Auch die Technologie trägt ihren Teil dazu bei, dass es in Zukunft nur noch einen Bruchteil der Pestizide braucht, die heute ausgebracht werden. Flächendeckende Behandlungen von Kulturen wird es nicht mehr geben. Pestizide können zielgerichtet ausgebracht werden. Roboter erkennen Stellen, die von einer Krankheit befallen sind und behandeln diese punktgenau. So braucht man im Gemüsebau nur noch einen Zehntel der Spritzmittel.
14. Wie lautet der Initiativtext?
Art. 74 Abs. 2bis
2bis Der Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege ist verboten. Die Einfuhr zu gewerblichen Zwecken von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, ist verboten.
Art. 197 Ziff. 122
12. Übergangsbestimmungen zu Art. 74 Abs. 2bis
1 Die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 74 Absatz 2bis tritt spätestens zehn Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände in Kraft.
2 Der Bundesrat erlässt vorübergehend auf dem Verordnungsweg die notwendigen Ausführungsbestimmungen und achtet dabei auf eine schrittweise Umsetzung von Artikel 74 Absatz 2bis.
3 Solange Artikel 74 Absatz 2bis nicht vollständig umgesetzt ist, darf der Bundesrat vorübergehend unverarbeitete Lebensmittel, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, nur dann bewilligen, wenn sie zur Abwehr einer gravierenden Bedrohung von Mensch oder Natur unverzichtbar sind, namentlich einer schweren Mangellage oder einer ausserordentlichen Bedrohung von Landwirtschaft, Natur oder Mensch.
1 SR 101
2 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmungen wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.
Trinkwasser-Initiative im Überblick:
Alle wichtigen und relevanten Artikel, Informationen, Fakten und Leserbriefe auf einen Blick.
Pestizidverbots-Initiative im Überblick:
Alle wichtigen und relevanten Artikel, Informationen, Fakten und Leserbriefe auf einen Blick.
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