Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des FiBL haben heute in Bern das Thema PSM auf Lösungsansätze abgeklopft. Ihr mit aktuellem Zahlenmaterial und neuen Forschungsarbeiten untermauertes Fazit in fünf Punkten fassten sie in den Medienunterlagen wie folgt zusammen:
1. Das Reduktionspotential bei den PSM ist hoch
Teilschritte sind sofort umsetzbar. Die Praxis und die Forschung im Biolandbau zeigen, dass Herbizide mit modernsten Geräten, mit Mischkulturen und mit Bodenbedeckungen vollständig ersetzt werden können. „Schweizer Landwirtschaft ohne Herbizide“ wäre eine für die Praxis, die Alleinstellung am Markt und die Agrarpolitik interessante Vision. Zu deren Realisierung das FiBL mit seiner Expertise gerne einen Beitrag leistet.
2. Nachhaltige, praxistaugliche Lösungen sind Lösungen im System
Ein vorbeugender Pflanzenschutz ist ohne Systemeffekte durch vielgliedrige Fruchtfolgen, Mischkulturen, Buntbrachen und Hecken, Blühstreifen oder ertragsneutrale Restverunkrautungen nicht praxistauglich. Dieser agronomische Realitätssinn muss das Ankünden von einfachen PSM-Lösungen ablösen. Bauern, Pflanzenschützer, Anbautechniker, Ökologen, Forscher und Berater sind nur vernetzt Teil der Lösung.
3. Ohne standortgerechte Sortenwahl und Züchtung von neuen Sorten sind komplexere Krankheits- und Schädlingsprobleme insbesondere bei den Spezialkulturen nicht zu bewältigen
Neue Sorten brauchen Zeit und Geld. So auch Züchtungsprojekte wie verbesserte Krankheitstoleranzen beim Apfel oder die Toleranz von Baumwolle gegen Wurzelbohrer und saugende Insekten durch partizipative Züchtung in Indien, die das FiBL durchführt. Projekte wie diese zeigen den Weg, brauchen aber mehr Unterstützung und Nachahmer weltweit.
4. Höchst aufwendig ist die Entwicklung von alternativen, chemiefreien Direktmassnahmen
An direktem Pflanzenschutz ohne PSM wird in der Schweiz sowohl am FiBL wie auch bei Agroscope seit 30 Jahren geforscht. Die Fülle an möglichen Lösungen wie z.B. natürliche Antagonisten (Insekten, Viren, Nematoden), Pflanzenextrakten oder natürliche Materialien (Tonmineralien, Milchextrakten etc.) ist riesig. Sie zu standardisierten Pflanzenschutzprodukten zu entwickeln, ist extrem teuer. Hier braucht es öffentliche und private Investitionen in die Forschung. Die Schweiz wäre prädestiniert, eine Spitzenposition einzunehmen. Die öffentliche Debatte um Pestizide zeigt zum Glück erste Ergebnisse. Denn mittlerweile zählen in der Europäischen Union die Hälfte aller Genehmigungsanträge für neue Wirkstoffe zu den biologischen Pflanzenschutzmitteln. Das zeigt das ganz offensichtlich erkannte Potential.
5. Das Thema Pestizide ist mehr als ein Ja/Nein- Abstimmungsthema
Die Weiterentwicklung von vorbeugenden und direkten Pflanzenschutzmethoden ist dringlich, damit Ertragsverminderungen durch Verzicht auf PSM aufgefangen werden können. Die bisherige Finanzierung der Forschungs- und Entwicklungsarbeit am FiBL – ermöglicht durch Aufträge der Schweizer, österreichischen und deutschen Regierungen, der Europäischen Union, von gemeinnützigen Stiftungen sowie von innovativen Firmen – bringt eine kontinuierliche Verbesserung der landwirtschaftlichen Ertragssicherheit, der Umwelt und der Lebensmittelqualität. Um die notwendige grosse Wirkung zu erzielen, ist die Forschung und Entwicklung für biologische Pflanzenschutzlösungen in Zusammenarbeit insbesondere auch mit Industriepartnern voranzutreiben. Die Diskussion zu den bald zur Abstimmung stehenden Eidgenössischen Volks-Initiativen ist ein Aufhänger auf der Agenda der Agrarpolitik. Genährt wird die Brisanz der Thematik durch die inhaltliche Relevanz (Pestizid-Rückstände, Verlust an Biodiversität, Resistenzen, Sackgassen bei den neuen Wirkstoffen etc.) und die entsprechenden Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene.
Die wichtigsten Aussagen
Urs Niggli, Direktor FiBL:
Pflanzenschutz und Biodiversität haben mich in den letzten vierzig Jahren stark beschäftigt. Wir haben wirklich ein Problem diesbezüglich. Die Verarmung unserer Lebensräume ist ein Grund für den weltweiten Biodiversitätsverlust. Wir brauchen eine grundsätzliche Änderung unserer Landwirtschaft. Trotz hohen Direktzahlungen haben wir es in der Schweiz nicht geschafft, die Biodiversität wieder herzukriegen. Leider kann man nicht einfach den Schalter umlegen. Die Schweizer Landwirtschaft zu 100% auf Bio umstellen, würde sofort eine Reduktion bei PSM bringen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass wir in der Schweiz bei 15% Bio Bioanteil und global bei 1,4% stehen. Gründe dafür sind Man würde den Selbstversorgungsgrad senken. Risiko mangelnde Produktivität, der Preis spielt eine Rolle. Die Zukunft ist der biologische Pflanzenschutz (Biopesticides, sie machen schon 50% der Neuanmeldungen aus). Es ist eine Trendwende. Seit 45 Jahren ein Schwerpunkt am FiBL, wir hoffen, dass wir neue Partner finden. Die Schweiz hätte ein Riesenzpotenzial, könnte ein USP sein, im biologischen Pflanzenschutz global neue Akzente zu setzen. Das gilt übrigens auch für die Züchtung. Es führt nicht nur der Biolandbau: Umweltbelastete Inputs durch umweltfreundliche ersetzen. Ökologische Intensivierung. Ökosoziale Landwirtschaft ist Wir brauchen ein anderes Landwirtschaftssystem, eine Transformation ist nötig, aber auch eine höhere Wertschätzung für Lebensmittel. In diese Richtung werden wir pushen beim FiBL.
Claudia Daniel, Teamleiterin Pflanzenschutz-Entomologie FiBL:
"Biologischer Pflanzenschutz ist mehr als der Ersatz von chemisch-synthetischen PSM. Es gilt den Pflanzenschutz umfassend zu verstehen. Der Pflanzenschutz im Biolandbau versteht sich ganzheitlich und basiert vor allem auf der Vorbeugung von Schädlingen und auf der Nutzung natürlicher Regulierungsmechanismen. Zur Illustration gibt es die Pflanzenschutzstrategie in Pyramidenform (siehe Bild). Auf der obesten Stufe sind verkäufliche Mittel, da muss man alles dransetzen, dass auch die unteren nicht kommerzialisierbaren Stufen genutzt werden. Da ist die Politik gefordert. Von alleine passiert das nicht, sonst würden alle nur vorbeugend arbeiten."
Ergänzung Urs Niggli: "Diese politische Aufgabe hätte gut Platz gehabt in einem Gegenvorschlag zur Trinkwasser-Initiative. Das hätte die Kantone gezwungen, da ihre Berater voll dafür einzusetzen. Wir sind natürlich schon ein kleines Ökoparadieschen in der Schweiz. Wobei die EU plant unterdessen mit ähnlichen Massnahmen zur Biodiversität. Hier bin ich sehr froh über den Konsens zwischen IP-Suisse und Bio in Sachen Biodiversität."
Monika Messmer, Teamleiterin Pflanzenzüchtung FiBL:
"Einsparung von PSM durch Züchtung ist möglich. Wir verzichten im Biolandbau bereits auf Beizmittel, Herbizide, Fungizide, Insektizide, Nematizide, Halmverkürzer und Abreifebeschleuniger. Deshalb sind wir angewiesen auf resistente oder mindestens tolerante Sorten. Bis anhin kommen aber die meisten Sorten aus konventioneller Zucht. Wir testen sie dann in Sortenversuchen, die zeigen, ob sich die Pflanzen eignen für den Bioanbau. Daneben gibt es die produktorientierte Biozüchtung, die dann auch zertifiziert werden können. Gerade im Bereich Weizen haben wir schon über 60% Bioanteil. Wir möchten mehr ökologische Intensivierung erreichen. Ziel ist es auch, das Risiko für den Landwirten zu minimieren. Wir sind an zahlreichen Züchtungsprojekten, zB. für Weisse Lupine. Wichtig ist beispielsweise auch Mischkultur-Eignung. Im Vergleich mit dem Ausland war die teilweise staatlich gestützte Züchtung schon länger auf Nachhhaltigkeit ausgerichtet. Die Horizonte sind relativ weit, so rechnet man mit 20-25 Jahren für neue Apfelsorten. Getreidesorten sind etwas schneller, aber es braucht auch hier über zehn Jahre. Wir kämpfen diesbezüglich auch um die Aufklärung der Konsumenten."
Lucius Tamm, Leiter Departement Nutzpflanzenwissenschaften:
Es gibt total zugelassene 383 PSM, davon sind 107 für Bioanbau zugelassen. Die Vision Bioland Schweiz zeigt, dass man bei den Spezialkulturen wenig, aber total einiges an PSM einsparen könnte, nämlich rund 50% total, wobei 90% der Fläche PSM-frei bearbeitet würden. Es gäbe damit auch eine starke Reduktion der PSM-Einträge in Gewässer, eine Verbesserung der Biodiversität und kaum Rückstände in Lebensmitteln, umgekehrt würde der Ertrag klar abnehmen. Die Qualitätsanforderungen an die Lebensmittel steuern direkt die eingesetzte Menge an PSM. Es braucht deshalb absolut zwingend eine Verbindung zum Handel. Wenn dieser so stringente Anforderungen anlegt wie bisher, dann ist es eine riesige Barriere. Die Produzenten machen, was der Markt verlangt. Wir müssen nicht primär den Handel überzeugen, sondern die Konsumenten. Es gibt sehr interessante Massnahmen zum biologischen Pflanzenschutz. Auf der obersten Pyramidenstufe haben wir ein Produkt mit Lärchenrindenextrakt, das den Kupfer ersetzen soll. Smart Farming hat ebenfalls ein grosses Potenzial."
Raphael Charles, Leiter der Antenne Romande:
"Meine Arbeitshypothese: Wir wollen anstreben, dass der ganze Schweizer Ackerbau bis 2025 ohne Herbizide auskommt. Die Mühseligkeit des Jätens hat sich stark ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Jedes Jahr werden bis heute rund 400t PSM für Unkraut ausgebracht, ungeachtet von neuen Trends und Techniken, zB. in der mechanischen Unkrautbekämpfung oder in der pfluglosen Bodenbearbeitung. Wenn man alle Fortschritte berücksichtigt und die Ansätze des Biolandbaus übernimmt, ist es durchaus möglich, dass der Schweizer Ackerbau ohne Herbizide auskommt."